Düsseldorf Im Einsatz für zierliche Kämpfer

Düsseldorf · Martin Berghäuser ist neuer Chefarzt der Kinderklinik des Florence-Nightingale-Krankenhauses und für die Frühgeborenen zuständig.

 Martin Berghäuser ist Spezialist für Neonatologie, also Früh- und Neugeborenenmedizin.

Martin Berghäuser ist Spezialist für Neonatologie, also Früh- und Neugeborenenmedizin.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Das Mädchen liegt auf einem Kissen, das mit bunten Herzen gemustert ist. Es bewegt sich recht viel, vor allem die Arme und Beine, aber auch den Kopf. Dabei verrutscht immer wieder die Atemmaske, die Maschine meldet ein Leck und ein kurzes Alarmsignal ertönt. Martin Berghäuser beachtet es kaum: "Die Signale klingen alle unterschiedlich und das ist keins, bei dem man rennen muss."

Berghäuser ist seit 1. Januar Chefarzt der Kinderklinik am Florence-Nightingale-Krankenhaus und Spezialist für Neonatologie, also Früh- und Neugeborenenmedizin. Er selbst vermeidet Begriffe wie Frühgeborene oder Frühgeburt, weil er sie zu "unscharf" findet: "Ein Kind, das nach der 22. vollendeten Woche geboren wird, ist ein Hochrisikopatient. Ein Kind, das nach der 36. Woche geboren wird, bekommt wahrscheinlich keine Probleme. Aber beide gelten als Frühgeborene." Berghäuser unterscheidet diese Patienten daher nach der Zeit, die rechnerisch zwischen Empfängnis und Geburt vergangen ist. Anders als etwa Frauenärzte zählt er dabei nicht nur die Wochen: "Wir zählen jeden Tag, weil jeder Tag zählt."

Als Grenze des medizinisch Machbaren gelten derzeit 22 Wochen und null Tage. Kinder, die noch früher geboren wurden und dennoch überlebt haben, würden in der Fachliteratur nur als Einzelfälle auftauchen, sagt Berghäuser. "Natürlich lässt man auch diese Kinder nicht allein. Aber sie werden vor allem palliativ begleitet - keine Schmerzen, keine Angst." Bei Kindern, die später geboren werden, steigen die Überlebenschancen dann stetig an. "Nach 22 Wochen und null Tagen, überleben zwischen drei und fünf Prozent gesund, nach 24 Wochen sind es schon zwischen 40 und 45 Prozent und nach 28 Wochen 85 Prozent."

 Der Chefarzt unterscheidet die jungen Patienten nach der Zeit, die rechnerisch zwischen Empfängnis und Geburt vergangen ist.

Der Chefarzt unterscheidet die jungen Patienten nach der Zeit, die rechnerisch zwischen Empfängnis und Geburt vergangen ist.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Das Mädchen mit der Atemmaske, die ständig Alarm auslöst, wurde Mitte November nach 23 Wochen und drei Tagen geboren. Damals wog sie 640 Gramm, mittlerweile wiegt sie mehr als das Doppelte und Berghäuser gibt ihr eine gute Prognose: "Die hat sich den Weg freigekämpft."

Seit ihrer Geburt lebt sie in einem Inkubator. Dessen Temperatur ist auf 31 Grad eingestellt, die Luftfeuchtigkeit auf 58 Prozent. Eine Atemhilfe unterstützt ihre Lunge. Sie wird über eine Magensonde mit Muttermilch versorgt und über einen intravenösen Zugang mit weiteren Nährstoffen, vor allem Fetten. Außerdem wird ihr Herzschlag und der Sauerstoffgehalt ihres Blutes überwacht. Auf der mehrwandigen Plexiglashaube des Inkubators liegt eine Decke zur Verdunkelung. Die Lautstärke im Raum wird automatisch kontrolliert. Ist sie angemessen, leuchtet ein grünes Licht, spricht jemand zu laut oder ertönt ein Alarmsignal, leuchten erst ein gelbes und dann ein rotes Licht als Warnung auf. Berghäuser: "Die Geräuschreduktion, die Dunkelheit und die Wärme, damit versuchen wir, den Mutterleib zu simulieren."

Die Plexiglashaube des Inkubators hat Handöffnungen, durch die das Frühgeborene von Ärzten und Krankenschwestern medizinisch versorgt werden kann. Sie können auch von den Eltern genutzt werden, um ihr Kind zu liebkosen. Vorher hätten sie natürlich eine Einweisung erhalten, etwa zur Handhygiene, sagt Berghäuser: "Außerdem rate ich von Streichelbewegungen ab, zu denen viele Menschen instinktiv neigen. Davon werden die Kinder oft unruhig, ich empfehle stattdessen Handauflegen."

Wie lange Frühgeborene im Inkubator beziehungsweise auf der Intensivstation bleiben müssen, ist unterschiedlich - die Spanne reicht von wenigen Tagen bis zu mehreren Monaten. Im Wesentlichen gibt es vier Voraussetzungen für eine Entlassung: Das Herz und die Lunge funktionieren, die Körpertemperatur kann gehalten werden und Nahrung wird aufgenommen.

Die frühe Geburt könne ihr späteres Leben prägen, müsse es aber nicht, erklärt Berghäuser: "Manche bleiben klein und zierlich, sind anfällig für Infektionen. Bei anderen wächst sich das komplett raus und wird zu einer Geschichte am Anfang ihres Lebens." Charakterlich gebe es schon eher Gemeinsamkeiten: "Der Wille hat sie am Leben gehalten - das sind alles Kämpfer."

(bjn)
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