Düsseldorf In den Katakomben der Messe

Düsseldorf · Technik-Chef Clemens Hauser zeigte RP-Lesern die Höhe und Tiefen des Messegeländes in Stockum.

 Unter den Messehallen gibt es ein gigantisches Tunnelsystem. Auf 15,4 Kilometer Länge summieren sich die begehbaren Kanäle. Hinzu kommen 70 Kilometer Versorgungsschächte.

Unter den Messehallen gibt es ein gigantisches Tunnelsystem. Auf 15,4 Kilometer Länge summieren sich die begehbaren Kanäle. Hinzu kommen 70 Kilometer Versorgungsschächte.

Foto: Bretz Andreas

Die Düsseldorfer Messe hat 19 Hallen und fällt im Norden der Stadt vor allem durch ihre beiden Hochhäuser auf. Die Hallen bieten knapp 262.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Eine beeindruckende Zahl, aber viel beeindruckender ist, was diese Hallen alles "können", welche Variabilität an Nutzung sie zulassen. Das erfahren drei RP-Leser und ihre Begleitung bei einer Exklusiv-Führung mit dem Technik-Chef der Messegesellschaft, Clemens Hauser. Nach gut zwei Stunden urteilt Vera Niermann: "Ich werde Messehallen jetzt ganz anders anschauen." Ihre Eltern hatten ein Bekleidungsgeschäft, deswegen war sie bei der Igedo Stammgast, und die Boot stand und steht bei der Taucherärztin ebenso auf dem Besuchszettel wie die Medica.

Hauser lässt die Gäste die Höhen und Tiefen der Messe erleben. Das ist wörtlich zu verstehen, denn erst geht es aufs Dach eines Messeturms, dann in die Katakomben. Aus 50 Metern Höhe lässt sich erkennen, was auf dem Areal in den vergangenen 15 Jahren passiert ist. "Die grünen Hallen müssen noch modernisiert werden, die grauen sind neu." Als man im Jahr 2000 einen Masterplan beschloss, war die "neue Messe" 30 Jahre alt, und so lange wird es auch dauern, bis sie überholt ist. Bislang ist ungefähr die Hälfte der kalkulierten 1,2 Milliarden Euro verbaut.

 Clemens Hauser (im Vordergrund) mit den RP-Lesern unter der Halle 6: Zu jedem Stand gehört einer der grauen Kästen. Nur wenn der Stand bezahlt hat, wird in den Kasten die Sicherung gesteckt.

Clemens Hauser (im Vordergrund) mit den RP-Lesern unter der Halle 6: Zu jedem Stand gehört einer der grauen Kästen. Nur wenn der Stand bezahlt hat, wird in den Kasten die Sicherung gesteckt.

Foto: Bretz Andreas

Bis 1970 war die Messe an der Fischerstraße untergebracht, wo heute die Ergo-Versicherung residiert. Dort hatte man Gebäude mit mehreren Ebenen und eine schlechte Verkehrsanbindung. "Dann konnte man ein Gelände planen, wie man es sich erträumte." Ein Areal am Autobahnkreuz Hilden stand zur Auswahl, man entschied sich Mitte der sechziger Jahre aber fürs Bauernland in Stockum. Die richtige Entscheidung, denn heute rollen die meisten Autos und Lkw gleich von der A44 auf die 20.000 Messeparkplätze, ist die Innenstadt nah und der Flughafen noch näher.

Die Technik hat sich rasant entwickelt, aber die Altvorderen haben sehr viel richtig gemacht. "Wir leben von ihren Ideen." Man startete mit 120.000 Quadratmetern, baute nur ebenerdige und von allen Seiten zugängliche Hallen. Das Gelände war teilbar, Röhren, durch die die Besucher in der Höhe liefen, verbanden die Bereiche, "das war damals hypermodern und sah aus wie Raumschiff Enterprise", schwärmt Hauser. Den Clou jedoch erfahren die RP-Leser, als sie hinabsteigen in die Katakomben: Das Gelände ist in sechs Meter Tiefe durchzogen von einem gigantischen Tunnelsystem. Im Abstand von 30 Metern befinden sich parallel laufende begehbare Gänge. Im rechten Winkel dazu gibt es alle fünf Meter kleinere, von oben zugängliche Kanäle. Über dieses Schachtsystem ist jede Stelle am Hallenboden innerhalb der Stände erreichbar. Auf 15,4 Kilometer kommen die begehbaren und auf 70 Kilometern die kleineren Kanäle.

 Patentanwalt Fabian Kiendl hatte ein Smartphone mit Wärmebildkamera dabei.

Patentanwalt Fabian Kiendl hatte ein Smartphone mit Wärmebildkamera dabei.

Foto: Bretz Andreas

Dieses Tunnelsystem ermöglicht die Belieferung der Stände mit Wasser und Energie, ohne dass Leitungen oder Rohre zu sehen sind. Kommt es, was hin und wieder geschieht, bei einer Leitung von 70 Megawatt zu Muffenschäden und dadurch auch zu einem Brand, wird unten gelöscht und parallel die Energie über eine andere Leitung zum Stand geleitet. Der Kunde bekommt davon kaum etwas mit. Unter den rund 650 Mitarbeitern der Messe gibt es 23 freiwillige Feuerwehrleute, drei Brandinspektoren und einen Hauptbrandmeister, und wenn es brennt, sind sie in ein bis zwei Minuten vor Ort (die "richtige" Feuerwehr braucht mindestens elf Minuten). Auf dem Gelände gibt es drei Tiefbecken, zwei Brunnen und ein Becken unter der Großhalle 6. Wenn die Brandmeldeanlage alarmiert, gehen die Sprinklerpumpen an und bringen das Wasser zur gewünschten Stelle. Im Becken unter der Halle 6 befinden sich 300.000 Liter Wasser, 10.000 Liter pro Minute werden im Ernstfall zur Brandstelle transportiert.

Es wird viel gestaunt bei dieser Führung. Über fantastisch anmutende Zahlen und den Umstand, mit welchem Willen zur Perfektion das System Messe funktioniert; sowie über technische Daten, die Patentanwalt Fabian Kiendl während des Rundgangs per Smartphone sichtbar macht. Dieses hat auch eine Wärmebildkamera, mit der der RP-Leser, der Physik studiert hat, eine Sammlung von Anlagen- und Röhrenaufnahmen anfertigt. In ihren Energiezentralen kann die Messe 56.000 Kilowatt Wärme oder bei Bedarf 58.000 Kilowatt Kühlung erzeugen. Diese Leistungen werden benötigt, um kurzfristig den Aufheiz- beziehungsweise Abkühlvorgang in den Hallen durchzuführen. Denn die Anlagen werden erst eingeschaltet, wenn die letzten der 149 Tore zum Aufbau geschlossen sind.

 Blick vom Messeturm aufs Gelände - unten links ist die Halle 6 zu erkennen.

Blick vom Messeturm aufs Gelände - unten links ist die Halle 6 zu erkennen.

Foto: Bretz Andreas

Es gibt an mehreren Stellen Wärme-Mengenzähler. "Wir wollen das Netz nachhaltig betreiben", sagt Hauser. Ebenso wichtig ist es, dass das Wasser in der Heizungsanlage "tot" ist, es also nicht zu Rost- und anderen Schäden in den Leitungen kommt. Allein in den Heizungsrohren befinden sich etwa 1,2 Millionen Liter Wasser, das entspricht einer Menge von 40 Tanklastzügen.

 Die Großhalle 6 nach der Boot-Messe: Eine Luxusjacht des Herstellers Princess muss noch zu einem Transportschiff gebracht werden.

Die Großhalle 6 nach der Boot-Messe: Eine Luxusjacht des Herstellers Princess muss noch zu einem Transportschiff gebracht werden.

Foto: Bretz Andreas

Als es wieder nach oben geht, stehen die RP-Leser in der fast leeren Halle 6. Eine Großjacht steht da und wartet auf den Abtransport zu einem Schiff. Es wird auf dem Tieflader durch das 14 mal 16 Meter große Haupttor der Halle rollen. "Big Willi", der Spezialkran der Boot, kann halt "nur" Schiffe heben, die bis zu 100 Tonnen schwer sind. Apropos Gewicht: Die Dächer der meisten Messestände, die ja bestenfalls stützenfrei sind, werden durch Seile gehalten, die von den Hallendecken herabgelassen werden. In jedem der 30 mal 30 Meter großen Raster der Raumtragwerke können 22.000 Kilogramm Last angehängt werden. Und die Fußböden, unter denen das Erdreich zerlöchert ist wie ein Schweizer Käse, halten 10.000 Kilogramm pro Quadratmeter aus. Große Maschinen können durch Lkw also problemlos in die Hallen gebracht werden. Bei großen Investitionsgütermessen wie Drupa, K oder Interpack werden bis zu 60.000 Kilowatt Strom gleichzeitig verarbeitet, die nötig sind, um große Maschinen bei laufendem Betrieb zu zeigen. Ein Plus der Messe, das bei den Herstellern aus aller Welt entscheidend für den Gang nach Düsseldorf ist.

Nicht nur Vera Niermann sieht ab jetzt beim Besuch in Stockum anders hin. Alle RP-Leser sind immer wieder zu Gast auf Publikumsmessen, und bei Gulaschsuppe und Brötchen wurden Clemens Hauser zum Anschluss weiter Fragen gestellt - auch zur Versorgung der Restaurants auf dem Gelände mit warmen Wasser. Dazu mehr bei der nächsten Führung.

(RP)
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