Düsseldorf In der Zwischenwelt

Düsseldorf · Zwischen der Abenddämmerung und den Morgenstunden gelten auf dem Großmarkt für Obst, Gemüse und Blumen eigene Regeln. Eine ist, dass Geschäfte per Handschlag gemacht werden. Ein Besuch.

Ein Morgen auf dem Düsseldorfer Großmarkt
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Ein Morgen auf dem Düsseldorfer Großmarkt

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Foto: Anne Orthen

Das begehrteste Produkt auf dem Großmarkt ist keine besonders ausgefallene Frucht, keine exotische Schnittblume und kein Gemüse in einer ungewöhnlichen Farbe oder Form: Es ist meist erst mal einfach eine Tasse Kaffee. Und das zu einer Zeit, in der die meisten Düsseldorfer eigentlich gerade keinen Kaffee trinken oder geschweige denn daran denken. Doch an der Ulmenstraße 275, auf dem Areal des Großmarkts für Obst, Gemüse und Blumen, ist eben alles ein wenig anders. Zwischen der Dämmerung und den Morgenstunden existiert dort eine Welt mit eigenen Regeln, Ritualen und auch einem Tagesablauf, der sich von dem vieler anderer Menschen unterscheidet.

Und so trinkt Detlef Marleaux morgens gegen 1 Uhr erst einmal eine Tasse Kaffee. Der 53-Jährige macht keinen Hehl daraus, dass er anfangs gar nicht Teil dieser Welt sein wollte, obwohl der Obst- und Gemüsehandel eine Familientradition ist. "Meine Eltern waren eigentlich nie zu Hause, als Kind wurde ich immer telefonisch geweckt, weil sie hier auf dem Großmarkt unterwegs waren", sagt der 53-Jährige. Dass er dennoch seit mehr als 30 Jahren fast jeden Tag genau dort steht, mit Kunden wie Bernd Hoff aus Flehe über den Preis für seine Strauchtomaten feilscht und zehn Mitarbeiter beschäftigt, sei ein "dummer Zufall" gewesen: Nach der Lehre zum Industrie-Kaufmann sei er nicht übernommen worden, weil er zur Bundeswehr sollte. Da habe er im Familienbetrieb mitgeholfen und sei irgendwie "hängengeblieben".

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Foto: rpo, Simon Goßen

Mindestens genauso vehement sagt der 53-Jährige, was er am meisten bei der Arbeit auf dem Großmarkt schätzt: "Hier zählt noch das Wort!" Solch ein Vertrauensverhältnis, dass ein Wort, ein Handschlag für ein Geschäft genügen: Das gebe es doch sonst kaum noch irgendwo.

In den Hallen des Großmarkts wird aber traditionell mit harten Bandagen gekämpft, wenn es um den An- oder Verkauf von Obst und Gemüse wie Kohlrabi, Clementinen, Spinat oder Schnittblumen geht: Das gehöre eben dazu, das Feilschen um den Preis, sagt Hoff. Und dabei gelte das "Spiel der Kräfte". Gibt es einen Überfluss oder eine Verknappung des Produkts auf dem Markt, hat man sensible Ware wie Erdbeeren, die schnell verkauft werden muss: Mal sei der Kunde, mal der Verkäufer in der besseren Ausgangslage, sagt der 48-Jährige. Böse sei am Ende aber eigentlich nie jemand auf den anderen, denn so sei nun mal das Geschäft. Eine weitere Regel an der Ulmenstraße 275.

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Foto: Hans-Jürgen Bauer

Bernd Hoff führt wie Marleaux oder Großhändler Wilhelm Andree (mit 80 Jahren der Dienstälteste auf dem Großmarkt) einen Familienbetrieb. Schon sein Ur-Großvater war Gemüsegärtner in Flehe, inzwischen gehört der Blumenhandel dazu, um den sich vor allem Sohn Mathias im Blumengroßmarkt kümmert, der seit 1952 an der Ulmenstraße untergebracht ist. Der 48-Jährige fand es schon als Kind beeindruckend, "wie aus einem millimetergroßen Samenkorn eine prächtige Tomatenpflanze oder ein schöner Kohlrabi wird."

Was die eigene Gärtnerei nicht hergibt, kauft er auf dem Großmarkt ein und vervollständigt damit sein Sortiment, bevor er dann zum Beispiel auf den Wochenmarkt in Ratingen fährt. Dass seine beiden Söhne in das Geschäft eingestiegen sind, erfülle ihn mit Stolz und gebe ihm die Kraft, den harten Job weiterzumachen. Denn zwischen dem Gemüseanbau in Flehe, den Einkäufen auf dem Großmarkt, den Vorbereitungen für den eigenen Stand am Wochenmarkt und vielem mehr, gebe es kaum Zeit für irgendetwas anders. Dennoch hat sein Job eigentlich nur Vorteile, findet Hoff: Denn er habe seine Familie immer um sich, im Gegensatz zu vielen anderen Familien.

Wie es mit dem Großmarkt weitergehen soll, ist eine Frage, die Hoff beschäftigt. Die Pläne für eine Wohnbebauung auf dem Areal scheiterten vor allem am benachbarten Daimler-Werk. "Zum Glück", findet Hoff, denn er und die Stadt bräuchten eine standortnahe Versorgung und einen "funktionierenden Großmarkt". Wie das Letztere gelingen soll, ist zurzeit allerdings noch unklar. Denn der Großmarkt mit seinen vielen Hallen und Kühlhäusern ist marode.

Eine Arbeitsgruppe der Stadt - der Markt gehört der Stadt und untersteht dem Amt für Verbraucherschutz - soll nun ein Konzept entwickeln. Auch das Angebot vor Ort soll betrachtet werden. Peter Hecker, Geschäftsführer des Blumen-Großmarkts, findet, dass man vor allem "ein langfristiges Verhältnis" brauche. So laufe der Mietvertrag 2019 aus, und wenn er neue Mieter gewinnen wolle, erschwere genau dieser Umstand das. Denn die Händler wollten eine Planungssicherheit. "Wir brauchen mehr Nachwuchs, von Kunden-, aber auch Großhändlerseite. Hier sollte ein Frischezentrum entstehen mit Fleisch und Fisch", meint Marleaux. "Die Menschen essen immer Obst und Gemüse und das muss nah erzeugt werden", sagt Andree. Eine weitere allgemeingültige Regel an der Ulmenstraße.

Bernd Hoff weiß noch, wie er als Kind das erste Mal mit seinen Eltern zum Großmarkt fuhr: "Das war ein Einstieg in eine andere Welt." Doch manchmal müsse man eben auch aufpassen, den Kontakt zu der Welt außerhalb des Zentrums an der Ulmenstraße und dem Familienbetrieb in Flehe mit seinen eigenen Regeln nicht zu verlieren.

(semi)
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