Serie Mein Laden Jede Schraube hat ihren Platz

Düsseldorf · Das Eisenwarenfachgeschäft Ritzdorf an der Römerstraße in Derendorf gibt es bereits seit 1924. Aber das Ende ist abgezeichnet.

 Seit 1986 ein eingespieltes Team bei Ritzdorf: Karl-Heinz und Dagmar Gatzen sowie Alice Nell (r.), die auch schon seit "einer gefühlten Ewigkeit" dabei ist.

Seit 1986 ein eingespieltes Team bei Ritzdorf: Karl-Heinz und Dagmar Gatzen sowie Alice Nell (r.), die auch schon seit "einer gefühlten Ewigkeit" dabei ist.

Foto: Marc Ingel

Derendorf Ein Leben ohne Ritzdorf geht zur Not, macht aber wenig Sinn. Mitte August war diese Zeit des Verzichts nach drei Wochen Betriebsferien vorbei. Endlich konnten Kunden wieder Wurstfüllvorsätze für Handfleischwölfe oder Spiralausläufe für Heißwassergeräte an der Römerstraße erwerben. Im Baumarkt würde man sich buchstäblich einen Wolf suchen, bei Ritzdorf genügt ein kleiner Handgriff von Dagmar oder Karl-Heinz Gatzen. Jede Schraube, jede Mutter hat hier ihren Platz, und das Betreiberpaar weiß ebenso, wo genau dieser ist, wie Angestellte Alice Nell.

40.000 Artikel umfasst das Sortiment des Eisenwaren- und Haushaltwarengeschäfts. Einmal im Jahr wird, wie es sich gehört, Inventur gemacht. Es wird nicht jeder Nagel gezählt, nur fast: "Wir schätzen. Aber das muss gelernt sein. Wenn Sie sagen, in der Schublade sind 500 Unterlegscheiben, dann sage ich Ihnen: Es sind 2000", erklärt Dagmar Gatzen. Und es verbietet sich, ihrem fachmännischen Urteil zu widersprechen.

In dritter Generation führen die Gatzens das Geschäft, "und es wird die letzte sein", betont die Chefin. "Unser Sohn ist Medienfachwirt und hat damit nicht so viel am Hut." Sieben Jahre müssten die beiden noch schaffen, dann hätten sie die 100 Jahre voll. Aber die 59-Jährige winkt ab: "Das ist uns zu lange." Ostersamstag, Weihnachten, Rosenmontag und eben der Urlaub - ansonsten stehen sie jeden Tag ab 10 Uhr im Laden. "Und vorher sind wir ab 8 Uhr beim Kunden auf Montage." Damit meint sie den Einbau von Haustürschlössern. Das Betätigungsfeld von Ritzdorf ist vielfältig.

 Ein Handgriff in die Schublade und schon ist die Rabitzzange gefunden.

Ein Handgriff in die Schublade und schon ist die Rabitzzange gefunden.

Foto: Marc Ingel

Alles begann am 1. April 1924. Gustav Ritzdorf, Huf- und Wagenschmied, war vom Pferd getreten worden und konnte seinen Beruf nicht mehr ausüben. Also eröffnete er mit seiner Frau Maria eben jenes Eisenwarenfachgeschäft an der Römerstraße, das bis heute quasi unverändert existiert. "In der Durchfahrt liegen noch die Schienen für die Loren, mit denen er die Kohle bis zur Schmiede im Hinterhof transportierte", sagt Dagmar Gatzen (geborene Ritzdorf), die ihren Großvater nie kennengelernt hat. 1961 übernahm Sohn Paul das Geschäft mit seiner Frau Lilly. Die 91-Jährige schaut heute noch fast täglich vorbei und nach dem Rechten.

Tochter Dagmar machte zwar erst ihr Abi, "aber irgendwie war immer klar, dass ich in die Fußstapfen meiner Eltern trete - wenn mein Mann einverstanden ist." Das war er. Die damals 20-Jährige durfte aufgrund ihrer praktischen Erfahrung im Geschäft zwar eine verkürzte Ausbildung als Einzelhandelskaufmann machen ("Kauffrauen gab es damals noch nicht."), ihre gute Abschlussnote hat sie sich wegen ihres frechen Mundwerks aber gründlich verdorben. "Der Prüfer hat mich gefragt, ob ich denn Kartoffelsalat in einem verzinkten Eimer transportieren dürfte. Transportieren schon, aber nicht essen, habe ich geantwortet. Als ob ich nicht gewusst hätte, dass Zink giftig ist." Da war die Eins futsch.

Im Verlauf der Jahrzehnte hat sich das Sortiment bei Ritzdorf verändert. Natürlich findet sich in dem allenfalls für Außenstehende ein wenig chaotisch wirkenden Laden für jede Schraube eine Mutter, gibt es Werkzeuge, von denen ein Laie noch nie gehört hat (Hebelvornschneider, Rabitzzange). Aber es sind auch Haushaltsgeräte dazugekommen, Sanitär- und Gartenartikel, es werden Gravuren durchgeführt, es gibt einen Schlüsseldienst. Und Ritzdorf ist dem Kochtrend gefolgt, bietet Spiralschneider zum Gemüseraspeln oder Einmachgläser an. "Das läuft besonders gut", erzählt Dagmar Gatzen.

Sie ist aktuell gehandicapt: Außenmeniskus. "Ich muss unters Messer, falle ein paar Tage aus", sagt sie. Ob es auch ohne sie geht? "Muss ja, mein Mann macht das schon. Aber ich komm' ja schnell zurück."

(RP)
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