Serie: Düsseldorf wächst "Jedes Jahr 1000 neue U3-Plätze"

Düsseldorf · Der Sozial- und Schuldezernent Burkhard Hintzsche sieht große Chancen und Herausforderungen, auf die sich die Stadt gut einzustellen weiß.

 Burkhard Hintzsche ist Dezernent für Jugend, Soziales, Wohnen und Sport.

Burkhard Hintzsche ist Dezernent für Jugend, Soziales, Wohnen und Sport.

Foto: abr

Düsseldorf verzeichnet seit 14 Jahren Bevölkerungszuwachs. Die Kurve weist weiter nach oben. Sie sind fürs Wohnen, die Schul-, Sozial- und Sporteinrichtungen zuständig. Wie groß ist die Herausforderung, die es zu meistern gilt?

Hintzsche Die meisten Städte im Land haben es, wenn es um den demografischen Wandel geht, mit rückläufigen Zahlen zu tun. Bei nur wenigen Städten wie Köln, Bonn, Münster oder eben Düsseldorf sieht das anders aus. Ich spreche deswegen lieber von Chancen für die Stadt, denn ihre Prosperität hängt ja maßgeblich von ihren Einwohnern ab.

Dennoch: Die Hälfte der zwölf Ausschüsse des Rates, die sich am neuen Stadtentwicklungskonzept (Stek) bis 2025 beteiligen, gehören zu Ihrem Dezernat. Ist also doch viel Daseinsvorsorge zu leisten, wenn die Stadt mit Tausenden Neubürgern klarkommen will?

Hintzsche Natürlich müssen wir unsere Angebote für Familien, Jugendliche, Senioren, bei den Schulen und Einrichtungen bedarfsgerecht anpassen. Das Gute ist, dass dies durch die gemeinsame Arbeit am Stadtentwicklungskonzept als Querschnittsaufgabe angesehen wird. Das kommt zum Beispiel einem so wichtigen Thema wie der Inklusion zugute. Planungsdezernent Gregor Bonin betont stets, dass das Stek ein interdisziplinäres Projekt ist und also eine Art übergreifendes Leitbild sein kann — eine gute Voraussetzung, wenn etwa die Teilhabe behinderter Menschen am gemeinsamen Leben in einer Stadt gelingen soll.

Wie entwickelt sich die Stadt denn weiter?

Hintzsche Anders als Köln hat Düsseldorf wenig Flächenreserven. Wir müssen also sehr genau unterschiedliche Nutzungsansprüche abwägen. Düsseldorf wird immer bunter, sprich: internationaler. Schon heute haben 35 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund, was ja nicht zwangsläufig heißt, dass sie einen ausländischen Pass haben. Das Durchschnittsalter wird zunehmen und der Zuwachs an Einwohnern stößt in den nächsten Jahren auch an räumliche und demographische Grenzen — allerdings wird es nicht zur Abwärtsspirale kommen, wie sie in vielen Rhein-Ruhr-Städten zu beobachten ist.

Die Zahl der Hochbetagten wird bis 2025 um mehr als 33 Prozent steigen, das sind 9000 Menschen mehr in dieser Altersklasse. Wie gehen Sie damit um?

Hintzsche Zunächst einmal ist es sehr erfreulich, dass wir alle mit einer höheren Lebenserwartung rechnen können. Für unsere Stadtentwicklung heißt das, dass auch die Zahl der Menschen mit einem Handicap, sei es zum Beispiel Demenz oder Pflegebedürftigkeit, steigt. Es werden auch mehr Menschen mit Rollator unterwegs sein, da ist es gut, wenn wir breitere Bürgersteige haben, schließlich freuen wir uns auch über viele Familien mit Kindern — das Stadtbild wandelt sich folglich. Wir bemühen uns gemeinsam mit den freien Trägern, vorzusorgen und die ambulanten Angebote im Quartier auszubauen. Dabei können wir auf unsere Analysen der Sozialräume zurückgreifen.

Ist der geplante Umbau der Benderstraße im Stadtteil Gerresheim, der auch breitere Bürgersteige vorsieht, vor diesem Hintergrund nicht absolut richtig?

Hintzsche Die politische Diskussion darüber läuft. Aber ich möchte angesichts der Debatten zur Barrierefreiheit noch einmal betonen: Sie kommt je nach Lebenssituation uns allen zugute. Der Mutter mit dem Kinderwagen, älteren Menschen oder dem mit einem gebrochenen Fuß. Ich bin dafür, Flächen zu schaffen, die jedem die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht.

Die meisten Menschen wollen im Alter in ihren Wohnungen bleiben. Kann die Stadt dabei helfen?

Hintzsche Dort oder zumindest im Quartier. Wir unterstützen das. Aber nur zwei bis drei Prozent der Wohnungen in Düsseldorf sind im engeren Sinn barrierefrei. Die Stadt berät alle Bürger kostenlos, wie sie ihre Wohnung anpassen können, unterstützt beim Umzug, wenn eine Wohnraumanpassung nicht möglich ist, und gibt einkommensabhängig Zuschüsse. Die großen Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften haben sich auf die Entwicklung eingestellt. Sie helfen bei der Vermittlung kleinerer Wohnungen im eigenen Bestand. Bei aller Notwendigkeit, sich auf den Wandel einzustellen, möchte ich aber betonen: Die Mehrzahl der älteren Menschen versorgt sich selbst, reist gerne, ist lange selbstständig.

Dennoch wird der Bedarf stationärer Pflegeplätze steigen.

Hintzsche Das stimmt, wir halten aktuell rund 5000 Plätze vor und wollen in den nächsten fünf Jahren ungefähr 1000 weitere Plätze schaffen. Wir brauchen aber auch einen Ausbau der ambulanten Wohnformen im Quartier, wie sie gerade von den freien Trägern und der Wohnungswirtschaft konzipiert werden. Auch die generationenübergreifenden neuen Wohngruppenprojekte leisten einen wertvollen Beitrag, um das Miteinander von Jung und Alt im Sozialraum aktiv zu unterstützen.

Bedeutet die wachsende Stadt auch steigende Schülerzahlen?

Hintzsche Im Jahr 2025 werden wir in Düsseldorf rund 9000 Kinder und Jugendliche mehr haben als 2010. Bei den Sechs- bis 18-Jährigen liegt der Anstieg bei 12,3 Prozent.

Wie stellen Sie sich darauf ein?

Hintzsche Die Entwicklung der einzelnen Schulformen ist differenziert zu betrachten. Die Zahl der Grundschulen ist von 90 auf 86 reduziert worden. Bei den weiterführenden Schulen haben die Hauptschulen Schüler verloren, die Zahl der Standorte ist von 14 auf neun gesunken. Bei den Gymnasien gibt es hingegen einen Riesendruck. Wir werden bis 2017/18 etwa 2800 Schüler mehr als heute an den weiterführenden Schulen haben, davon 1700, also mehr als die Hälfte, an Gymnasien.

Und was ist die Lösung?

Hintzsche Man kann die Kapazitäten der bestehenden Gymnasien ausbauen oder Dependancen im Bestand bilden, etwa in ausgelaufenen Hauptschulen. Mittelfristig brauchen wir mindestens ein zusätzliches Gymnasium. Im Grundschulbereich ist ein Großteil unserer Raumreserve durch das freiwillige Einrichten des Offenen Ganztags ausgeschöpft. Wir haben eine landesweit vorbildliche Versorgungsquote von 61 Prozent erreicht. Das ist ein wichtiger Standortvorteil für Familien.

Wird der Bedarf an Kita-Plätzen ebenfalls weiter steigen?

Hintzsche Ja, der Nachfragedruck ist bereits jetzt enorm. Wir schaffen jedes Jahr 1000 zusätzliche Plätze für unter Dreijährige. Wenn wir das Bevölkerungswachstum nicht hätten, hätten wir längst eine höhere Betreuungsquote erreicht. Wir sind bei U3 mit einer Versorgungsquote von 38,5 Prozent ins Kita-Jahr 2013/2014 gestartet, gemessen an den Elternanmeldungen im Kita-Navigator hätten wir 53 Prozent haben müssen. Das ist der reale Bedarf.

Was ist Ihr Ziel?

Hintzsche Zum 31. Juli 2014 wollen wir mit 7277 Plätzen eine Betreuungsquote von 41,5 Prozent erreichen, unser Ausbauziel bleibt bei bis zu 60 Prozent. Im Kita-Jahr 2016/17 sollte die Nachfrage — von einzelnen Sozialräumen abgesehen — befriedigt werden können.

Das gelingt aber nur, weil es auch viele Betriebskindergärten gibt.

Hintzsche Das ist richtig. Wir haben aktuell etwa 1000 betriebliche Plätze, das heißt, die Unternehmen engagieren sich relativ stark, nicht nur die Großen wie Henkel, Metro oder Vodafone. In gut zwei Jahren würden wir gerne 500 Plätze mehr haben. Dennoch bleibt es dabei: Auch in Düsseldorf wird die Bevölkerung altern.

Wann gibt es die ersten Seniorendiscos in Jugendzentren?

Hintzsche Solche Abendtanzveranstaltungen gibt es doch schon heute.

Steigt mit der Zahl der Einwohner auch die der sozial Schwachen?

Hintzsche Wie alle Großstädte haben wir das Problem, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen von der positiven Entwicklung des Arbeitsmarktes nicht profitiert. Ich halte es für dringend notwendig, Langzeitarbeitslose verstärkt in den Arbeitsmarkt zu integrieren oder, wenn das nicht möglich ist, ihnen dauerhafte soziale Beschäftigungsangebote zu machen. Der Bund hat dafür leider keine weiteren Maßnahmen vorgesehen. Wir wenden jährlich 170 Millionen Euro für die Wohnkosten von Hartz IV-Beziehern auf. Ich würde zumindest einen Teil des Geldes mit den Mitteln des Bundes in aktive Beschäftigungsmaßnahmen geben, wenn der Bund einen solchen Passiv-Aktiv-Tausch zuließe.

Wie garantieren Sie, dass nicht Sozial-Ghettos entstehen?

Hintzsche Zum einen durch das vom Rat verabschiedete Handlungskonzept Wohnen, das bei Neubauprojekten mindestens 40 Prozent Wohnungen im öffentlich geförderten und im mietpreisgedämpften Bereich vorsieht, und durch die günstigeren Wohnraumförderungsregelungen des Landes. Dadurch sind mehr Investoren bereit, preiswerten Wohnraum zu schaffen. Auch Bauminister Groschek, der unserer Stadt "Luxus-Ghettoisierung" vorgeworfen hat, lobt inzwischen den Düsseldorfer Weg.

DENISA RICHTERS UND UWE-JENS RUHNAU FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

(RP)
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