Jörg Gerhartz aus Düsseldorf Aus dem Tunnel in die eigenen vier Wände

Düsseldorf · Ende November berichteten wir über Jörg Gerhartz, der vier Jahre in Düsseldorf in einem Tunnel lebte. Seitdem hat sich viel verändert.

 Jörg Gerhatz ist aus dem stillgelegten Bahntunnel, der lange sein Zuhause war, in ein neues Leben gezogen.

Jörg Gerhatz ist aus dem stillgelegten Bahntunnel, der lange sein Zuhause war, in ein neues Leben gezogen.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Acht Wochen sind in einem Menschenleben oft nicht mehr als ein Wimpernschlag. Aber in acht Wochen kann sich auch ein Leben verändern. Wie das von Jörg Gerhartz. Als unsere Redaktion sein Porträt veröffentlichte, hatte der 50-Jährige nach viereinhalb Jahren in einem stillgelegten Bahntunnel gerade beschlossen, in ein bürgerliches Leben zurückzukehren. Das hat er mittlerweile getan. In Unterbilk wohnt er seit kurzem, in unmittelbarer Nähe von Rheinturm, Landtag und Portobello-Haus.

Die Klingel an dem unscheinbaren Mehrparteienhaus ist schon beschriftet. Mieter Gerhartz öffnet in Jogginganzug und Schluppen. In der Hand trägt er einen Werkzeugkoffer, den er noch schnell in den Keller bringt. Gerade hat er Schutzbleche an seinem Fahrrad angebracht. "Braucht man ja bei dem Wetter." Draußen herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt.

Bei 70, 80 Wohnungen bekam Gerhartz Absagen

In der Ein-Zimmer-Wohnung ist es angenehm warm. Und sehr hell. Am 12. Dezember ist Gerhartz eingezogen. Das Datum hat er sich gemerkt. 70, 80 Wohnungen, schätzt er, hatte er besichtigt - und ausschließlich Absagen kassiert. Kein Job, keine Wohnung. Es sah aus, als könnte der Weg zurück in ein normales Leben dauern. Aber Gerhartz bewies einen langen Atem. Und er hatte, das betont er immer wieder, viele Menschen, die ihn unterstützen. "Vor allem vom Theater."

Im "Jungen Schauspielhaus" arbeitet er nach wie vor jeden Montag im "Café Eden". Was ehrenamtlich begann, ist mittlerweile ein Minijob geworden. Im Dezember ist ein weiterer Teilzeit-Job dazugekommen: Für einen Lieferdienst transportiert Gerhartz Essen mit dem Fahrrad. "Groß Rücklagen bilden kann ich natürlich nicht", stellt er fest. Allein die monatliche Miete für das 31 Quadratmeter große Apartment beträgt fast 500 Euro. Natürlich hätte er dafür gern eine etwas größere Küche gehabt. Oder eine Badewanne. Aber ihm habe gefallen, "dass die Wohnung nach hinten raus liegt, dass es dementsprechend ruhig ist. Und kein Erdgeschoss."

Die eigenen vier Wände - ein merkwürdiges Gefühl

Sich in den eigenen vier Wänden aufzuhalten, sei anfangs durchaus etwas merkwürdig gewesen. Keine Angst davor haben zu müssen, irgendwo entdeckt und verjagt zu werden, das sei der entscheidende Vorteil gegenüber dem Leben auf der Straße. Hartz 4 und Wohngeld, das ist ihm wichtig, bezieht er nicht. Die Kaution für seine Wohnung stottert er in Raten ab.

Dass viele Menschen an der 180-Grad-Wende seines Lebens Anteil haben, dessen ist sich der 50-Jährige bewusst. Zu den Helfern zählen auch Leser der "Rheinischen Post". Unter dem Porträt über Gerhartz waren seine Telefonnummer und Mail-Adresse angegeben. 15 bis 20 Leser nahmen so Kontakt zu ihm auf. Manche bekundeten einfach nur ihre Anteilnahme. Andere wollten ihm Geld überweisen. Letzteres hat er allerdings abgelehnt: "Ich wollte unbedingt den Eindruck vermeiden, dass ich was absahnen will", erklärt Gerhartz. Er habe zu der Zeit schließlich schon gearbeitet. "Da hätte ich es nicht korrekt gefunden, das Geld zu nehmen."

Fahrrad und Möbel wurden gespendet

Auf das Angebot von Elmar Schmellenkamp ist er hingegen gerne eingegangen. Der ehemalige Geschäftsführer der DEG hat Gerhartz unter anderem ein Fahrrad, eine Waschmaschine, zwei Regale und ein cremefarbenes Kunstleder-Sofa organisiert. Dank dieser Möbelstücke wirkt das kleine Apartment in Unterbilk schon ziemlich wohnlich.

Die Hilfe anzunehmen, sei für ihn nicht ganz einfach gewesen, räumt der Mann im Jogginganzug ein. "Ich habe ja auch vorher nicht gebettelt, sondern vom Flaschensammeln gelebt." Das Angebot an Gegenständen sei groß gewesen, so groß, dass er aussortieren musste. "Mit dem, was mir angeboten wurde, hätte ich drei Wohnungen einrichten können", lacht Gerhartz. Aber er wollte keine Sachen annehmen, die er nicht auch wirklich selbst brauchte. Es gebe schließlich auch noch andere Bedürftige.

Ist er zufrieden? - "Es geht."

Eine davon sprach ihn vor einigen Wochen am Carlsplatz an. Sie brauche Geld für eine Notunterkunft. Gerhartz war gerade am Geldautomaten gewesen. Das erste Gehalt war da. Zwei Tage vorher hatte er seine Wohnung bekommen. Er war in Hochstimmung. Da hat er der Frau eben etwas gegeben. Eine Ausnahme, betont er. Grundsätzlich würde er Bettelnden lieber ein Brötchen kaufen. Wenn man Geld gebe, sagt er, wisse man schließlich nie, was damit geschehe.

Wenn er nicht gerade arbeitet, schläft Gerhartz derzeit viel. "Das Ausfahren ist doch ganz schön anstrengend", sagt er. Monatlich legt er für den Lieferdienst rund 600 bis 700 Kilometer mit dem Fahrrad zurück. Wenn er frei habe, koche er sich schon mal was, lese oder höre Radio. Ob er sagen würde, dass er zufrieden ist? "Es geht", antwortet er. Eine typische Gerhartz-Antwort. Überschwang überlässt er anderen.

Noch viel zu tun

Er habe noch einiges zu erledigen, was er bisher vor sich hergeschoben habe. Papierkram. Versicherungen. "Da muss ich noch besser werden." Und an der Wohnung wolle er natürlich auch noch ein bisschen was machen. Gardinen und Deckenlampen braucht er noch. Die weißen Wände würde er gern farbig streichen. Ein paar Bilder aufhängen.

Vor einigen Wochen hat er sich bei Facebook angemeldet. Sein Profilbild bei der Plattform zeigt einen Frosch, der gerade von einem Storch verschlungen wird. Darüber steht: Niemals aufgeben.

(RP)
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