Angela Böttcher Junge Erwachsene sind trotz guter Aufklärung oft ahnungslos

Düsseldorf · Mythen über Schwangerschaftsverhütung halten sich hartnäckig, stellt die Gynäkologin Angela Böttcher häufig fest. Bei pro familia berät sie über Familienplanung auch online.

 Angela Böttcher stellt vor allem bei über 20-Jährigen Wissenslücken in Verhütungsfragen fest.

Angela Böttcher stellt vor allem bei über 20-Jährigen Wissenslücken in Verhütungsfragen fest.

Foto: Andreas Bretz

Informationen über Schwangerschaftsverhütung sind heutzutage für jeden frei zugänglich. Die Aufgeklärtheit müsste demnach so groß wie nie sein. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Angela Böttcher Das erleben wir im Alltag genau anders. Dabei betrifft das gar nicht speziell die Jüngeren. Sie werden meist in der Schule gut aufgeklärt und direkt angesprochen durch Sexualpädagogen, die von außen kommen. Die Unwissenheit hat sich eher auf diejenigen Mitte zwanzig bis Mitte dreißig verlagert, die etwas sorglos mit Verhütung umgehen und denen die Kenntnis darüber fehlt, wie Verhütung versagen kann. Wenn das Kondom versagt hat, lassen sie das einfach auf sich beruhen. Sie denken, es wird schon gut gehen oder glauben, auf der sicheren Seite zu sein, weil sie ja mitgerechnet hätten. Im Hinblick auf die Pille gibt es viel Unkenntnis darüber, was die Wirkung schwächt, nämlich, wenn man bestimmte Medikamente zusätzlich einnimmt, bei Durchfall oder Erbrechen oder wenn man sie vergessen hat.

Seitdem Sie im Oktober zum Team von pro familia gestoßen sind, bietet die Beratungsstelle auch eine Online-Beratung an. Wer meldet sich dort mit Fragen bei Ihnen?

Böttcher Das sind Menschen über alle Altersstufen hinweg. Sehr oft aber auch junge Mädchen, die ängstlich und unsicher sind, etwa darüber, wie die Pille wirkt. Das Angebot, eine Online-Auskunft einzuholen, wird dann sehr gerne wahrgenommen.

Spielen bei der Unsicherheit auch Berichte in den Medien über die Nebenwirkungen der hormonellen Verhütung eine Rolle?

Böttcher Ja, eine große. Vor kurzem gab es in Online-Medien Berichte über die Nebenwirkungen der Hormonspirale, bei denen es um das Auftreten von Depressionen und Lustlosigkeit ging. Es gibt Frauen, bei denen diese Nebenwirkungen auftreten. Und nur über diese wurde dann berichtet. Das ist aber nicht der Großteil der Frauen, die meisten vertragen die Hormonspirale gut. Doch darüber wird dann nicht so ausführlich geschrieben. Dies ist eine einseitige Berichterstattung. Auch über Thrombosen, die bei einigen Pillenpräparaten häufiger als bei anderen auftreten, gibt es meiner Meinung nach häufig undifferenzierte und angstmachende Darstellungen. Und manche Frauen sind dann von den negativen Berichten so beeindruckt, dass sie die Pille sofort absetzen.

Sie suchen auch geflüchtete Frauen auf, um über Verhütung aufzuklären. Welche Erfahrungen machen Sie mit Ihnen?

Böttcher Die Hemmschwelle, in die Beratungsstelle zu kommen ist zu hoch. Es ist wichtig, zu ihnen zu gehen und ein Gespräch beispielsweise in einem Sprachcafé zu führen. Das wird sehr gut angenommen. Nach diesem Kennenlernen kommen sie auch zu uns. Dabei treffen wir häufig auf Mythen, die wir dann aufklären.

Welche Mythen sind das?

Böttcher Einer lautet: Wenn ich die Pille nehme, werde ich unfruchtbar. Das gleiche wird über die Spirale verbreitet. Beides wird ganz bewusst von einigen Seiten erzählt, damit die Frauen nicht verhüten. Ein weiterer Mythos ist, dass eine Frau eine Regelblutung haben muss, damit der Körper gereinigt wird. Das sind Vorstellungen, die es auch bei uns vor einigen Jahren noch gab und die auf Unwissen darüber basieren, was sich im Körper abspielt. Es ist wichtig, dies aufzuklären, weil bei Verhütungsmethoden wie beispielsweise der Hormonspirale die Regel aussetzt oder schwächer wird. Und noch ein allgemein sehr verbreiteter Mythos: Dass man durch "Aufpassen" eine Schwangerschaft verhindern kann. Auch nach der Kalendermethode glauben manche Frauen immer noch, ihre fruchtbaren Tage bestimmen zu können. Das ist sehr unsicher, auch weil der Eisprung verschiedenen Einflüssen unterliegt und nicht alleine über die Kalendermethode bestimmt werden kann.

Im vorigen Jahr hat das Pro-familia-Team 1685 Schwangerschaftskonfliktberatungen geleistet, weil Frauen einen Abbruch der Schwangerschaft anstrebten. In welcher Situation befinden sich diese Frauen?

Böttcher Die meisten kommen in der sechsten, siebten Schwangerschaftswoche und sind sehr unglücklich, weil sie verhütet haben und trotzdem schwanger geworden sind. Wir stellen dann bei der Beratung in den Vordergrund, dass es keine 100 Prozent verlässliche Verhütung gibt, um die Frauen zu entlasten. Ein größerer Teil von ihnen ist sich über die Entscheidung klar, etwa, weil die Frau noch in der Ausbildung ist, es Partnerschaftskonflikte gibt oder die Familienplanung abgeschlossen ist. Ein anderer Teil ist sich unsicher. Dann sind auch oft unsere Experten für soziale und finanzielle Belange gefragt. Ungewollte Schwangerschaft ist nach wie vor ein Tabuthema und sehr privat. Manche, die zu dieser Pflichtberatung kommen, haben Angst, dass sie hier Rede und Antwort stehen müssen, und fühlen sich nach dem Gespräch, bei dem sie ihre Entscheidung durchsprechen und abwägen können, sehr entlastet. Wie sie sich letztlich entscheiden, erfahren wir nicht.

In der Tat verbinden viele mit dem Namen pro familia die Beratung im Schwangerschaftskonflikt. Dabei ist das nur eines Ihrer Tätigkeitsbereiche.

Böttcher Wir beraten auch zu Fragen der Familienplanung und zum Kinderwunsch. Oft holen sich Klienten neben der Beratung in der gynäkologischen Praxis bei uns noch eine zweite Meinung ein. Zusätzlich bieten zwei Psychologinnen Paarberatung an. Ein ganz großes Anliegen ist für uns die Präventionsarbeit mit Aufklärung und Sexualpädagogik, damit es erst gar nicht zu Konfliktfällen kommt. Wir laden Schulen zu uns ein, bieten Informationsabende in Kitas an.

Manche Eltern sind unsicher, ob und wann sie ihr Kind mit dem Thema Sexualität konfrontieren sollen und warten ab, wann es von selbst mit Fragen kommt. Wie beurteilen Sie das?

Böttcher Aufklärung fängt nicht erst in der Pubertät an. Es ist gut, von Anfang an mit Kindern darüber im Gespräch zu sein, auch mit Hilfe von Büchern den über Körper. Dann erleben die Kinder ihre Eltern auch als Ansprechpartner für das Thema.

Zu welcher Art der Verhütung raten Sie ganz jungen Menschen?

Böttcher Wir raten dazu, doppelt zu verhüten. Mit Pille und Kondomen. So übernimmt auch jeder von beiden Partnern Verantwortung.

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