20-Jähriger in Düsseldorf vor Gericht Kantholz-Fall — der lange Weg zum Prozess

Wegen Totschlags muss sich ab dem heutigen Donnerstag ein 20-Jähriger vor dem Düsseldorfer Landgericht verantworten. Er behauptet, im Oktober 2013 den damals 44-jährigen Massimo L. in Notwehr erschlagen zu haben. Stationen eines langwierigen Verfahrens

Haltestelle "An der Piwipp" in Düsseldorf: Mann mit Vierkantholz geschlagen
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Haltestelle "An der Piwipp" in Düsseldorf: Mann mit Vierkantholz geschlagen

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Foto: Bretz, Andreas

Die Tat Der 4. Oktober 2013 war ein freundlicher Herbstfreitag. Es geht auf Mitternacht zu, als es in der Straßenbahnline 717 zu einer fatalen Begegnung kommt. Massimo L., damals 44 Jahre alt, hat seine Lebensgefährtin von der Arbeit in einem Lokal abgeholt und wäre gern mit dem Taxi gefahren. Seine Freundin will das Geld sparen, in Unterrath steigt das Paar in die Straßenbahn. Auch Marjan S. (Name geändert) ist auf dem Heimweg, Der 17-jährige Schüler war mit zwei Freunden unterwegs.

An der Eckener Straße steigen die drei mit sieben anderen Personen in die Bahn. Sie hören Musik von einem Smartphone. Massimo L. ist angetrunken. Ihn nervt der Lärm und er spricht die Jugendlichen darauf an. Es gibt Streit. S. nimmt ein Kantholz an sich, das in der Bahn herumliegt. Zwei Haltestellen weiter steigen die Jugendlichen aus, gefolgt von Massimo L. Und der liegt wenig später mit einer Kopfverletzung in einer Blutlache. Die drei jungen Männer sind verschwunden.

Die Ermittlungen Bereits am Tag nach der Tat melden sich die Jugendlichen in Begleitung ihrer Eltern bei der Polizei. Sie haben im Internet von der Fahndung der Polizei gelesen. Die Ermittler glauben, was die Jugendlichen sagen: Massimo L. habe während des Streits in der Bahn seinen Gürtel abgenommen und damit gedroht. Als die Schüler "An der Piwipp" ausstiegen, sei er ihnen gefolgt, habe Marjan S. damit geschlagen. Der schlug zwei Mal mit dem Kantholz zu, in großer Angst, und nur, um sich zu wehren.

Tatsache ist: L. hat, als er schwer verletzt gefunden wurde, keinen Gürtel angehabt. Seine Lebensgefährtin hat ihn bei sich. Eine DNA-Untersuchung beweist nicht, dass der Gürtel Marjan S. getroffen hat. Massimo L. wird im Krankenhaus zwei Mal operiert. Ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben, stirbt er eine Woche nach den Schlägen.

Die Zeugen Weder die Lebensgefährtin noch der Ersthelfer auf dem Bahnsteig haben nach eigenen Angaben gesehen, was vor der Bahn geschah. Jemand will gehört haben, dass Marjan S., den 44-Jährigen mit dem Spruch "Komm doch mit raus, wenn du dich traust" provoziert habe, während er die Bahn verließ. S.' Begleiter stützen dessen Notwehrversion. Andere Zeugen melden sich trotz zahlreicher Appelle der Ermittler nicht. Weder an der Haltestelle "An der Piwipp" noch in dem alten Straßenbahnwagen gibt es Videokameras.

Die Einstellung Der Fall hat bundesweit Aufsehen erregt, nicht zuletzt, weil die Ermittler deutlich signalisiert haben, dass sie der Notwehr-Darstellung nichts entgegenzusetzen haben. Opferanwalt Wolfgang Steffen vertritt die Tochter des Getöteten und kündigt noch während des Ermittlungsverfahrens im Dezember 2013 an: "Sollte das Verfahren eingestellt werden, lege ich Beschwerde ein." Der richtige Ort für die Klärung des Falls müsse ein Gericht sein, sagt der frühere Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht.

Erst im Juli 2014 schließt die Staatsanwaltschaft ihre Untersuchungen ab und stellt das Verfahren ein. Staatsanwalt Christoph Kumpa erklärt: "Es konnte nicht widerlegt werden, dass der 17-Jährige auch den zweiten, nach seiner Schilderung nicht zielgerichteten Schlag gegen L. nur zu seiner Verteidigung geführt hat."

Die Beschwerde Vier Wochen später macht Steffen seine Ankündigung war und legt offiziell Beschwerde gegen die Einstellung ein. Gerade weil das Opfer alkoholisiert gewesen sei, müssten an Notwehr strengere Bedingungen angelegt sein. Der Generalstaatsanwaltschaft weist die Beschwerde zurück. Steffen strengt ein Klageerzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht an. Das prüft den Fall mehrere Monate und trifft eine in Deutschland sehr seltene Entscheidung: Im Februar 2015 wird die Staatsanwaltschaft angewiesen, Marjan S. anzuklagen. Das geschieht im Mai 2015.

Der Prozess Das Landgericht setzt den Fall dennoch nicht auf die Terminrolle. Zu viele Haftsachen stünden an, die Vorrang haben. Der Opferanwalt droht mit Verfassungsbeschwerde, einer Entschädigungsklage gegen das Land und stellt einen Befangenheitsantrag gegen die zuständige Richterin, der im Mai 2016 abgelehnt wird. Im Oktober setzt das Gericht den Termin für die Hauptverhandlung fest. Dreieinhalb Jahre nach der tödlichen Begegnung in der Bahn steht Marjan S. ab heute vor dem Schwurgericht.

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