Rosenmontag in Düsseldorf Die Flaschensammlerin mit Diplom

Düsseldorf · Nicole Kaluza hat Sozialarbeit studiert und lebt von einer kleinen Rente. An Rosenmontag wühlt sie die Mülltonnen durch.

Unterwegs mit einer Flaschensammlerin
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Längere Strecken laufen - das fällt Nicole Kaluza schwer. Die Wirbelsäule schmerzt immer wieder. Schwer tragen - klappt auch nicht mehr so gut. Nicole Kaluza ist 52 Jahre alt und zu 50 Prozent schwerbehindert.

Seit mehr als einem Jahr bezieht sie Rente wegen voller Erwerbsminderung. 352 Euro im Monat. Weil die alleinerziehende Frührentnerin mit ihrem Sohn zusammenlebt, stockt das Amt auf. "So kommen wir auf etwa 1000 Euro im Monat", sagt Nicole Kaluza. 510 Euro zahlt sie pro Monat Miete, 50 Euro Strom und noch mal 30 Euro für Gas - "aber nur, weil ich die Heizung kaum anmache."

"Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel"

Was ihr übrigbleibt? "Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel", sagt die 52-Jährige. Sie weiß, dass der Spruch ziemlich abgegriffen ist. Und trotzdem jeden Tag wahr. Früher hat sie Sozialarbeit studiert, hat ein Diplom und einige Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Nicole Kaluza lacht, sie scheint ein fröhlicher Mensch zu sein, der sich nicht unterkriegen lässt. Eine Frau, die es gewohnt ist zu kämpfen, sich durchzubeißen. Irgendwann ist sie auf die Idee gekommen, in der Altstadt weggeworfene Pfandflaschen zu sammeln. "Manchmal bin ich sonntags morgens um sechs Uhr aufgestanden und in die Altstadt gefahren", sagt Nicole Kaluza. Wenn sie Pfand im Wert von zehn Euro zusammen hat, fährt sie wieder nach Hause. "Das lohnt sich schon, dann kann ich meinem Sohn wieder mal was kaufen."

Heute - das ist der Rosenmontag von Nicole Kaluza. Am Morgen hat die sich im Supermarkt etwas Obst gekauft. Auf Fleisch verzichtet sie schon seit Jahren. "Meinem Sohn hab ich ein paar Berliner besorgt, die hatte er schon länger nicht mehr." Bezahlt hat Nicole Kaluza mit dem Pfandbon aus dem Flaschen-Rücknahme-Automaten. Seit 11 Uhr ist Nicole Kaluza wieder in der Altstadt. Verkleidet hat sie sich nicht. Aber warm angezogen. Nicht modern, nicht unmodern, zweckmäßig. Wer sie sieht, könnte denken, sie sei auf dem Weg zum Einkaufen.

Am Bolker Stern vor McDonalds schaut sie zu, wie betrunkene Teenager immer betrunkener werden. Einige torkeln mehr, als dass sie stehen können. Auf dem Boden in der Menschenmenge findet Nicole Kaluza leere Cola-Flaschen und ein paar Dosen. "Ich sammle nur Dosen und Plastikflaschen, Glas ist mir zu schwer und bringt auch nicht so viel Pfand ein". Etwa 15 Dosen und Flaschen hat sie in mehr als einer Stunde gesammelt.

Das wären am Automaten 3,25 Euro, 25 Cent gibt es pro Dose oder Plastikflasche. Wenn das richtige Pfandzeichen drauf ist. "Ein wenig mehr wäre schon schön", sagt sie. Und sie hält die Augen offen. "Man geht mit einem ganz anderen Blick durch die Stadt, schaut in jeder Ecke nach." Doch nicht nur in den Ecken. Nicole Kaluza schaut auch in jeden Mülleimer. "Das kostet Überwindung." Handschuhe hat sie sich übergezogen, wenn sie Dosen und Flaschen aus dem Müll holt. Um ganz tief im Müll zu wühlen, hat sie einen Stock dabei, mit dem man auch die Dosen rausfischen kann. Sie ärgert sich, als sie auf der Bolker Straße eine Dose findet, die ganz platt getreten ist. Im Pfand-Automaten muss sich die Dose drehen, sonst wird sie vom Scanner nicht erkannt.

Manchmal findet Nicole Kaluza Portemonnaies in den Mülleimern. Ausweis, Scheckkarte, Krankenkassenkarte - alles noch drin. Nur das Geld ist natürlich weg. Offensichtlich das Werk von Taschendieben, die mit den Geldbörsen nichts mehr anfangen konnten. "Letztes Jahr hab ich eine Geldbörse gefunden und der Besitzerin zurück gebracht. Da durfte ich mir für zehn Euro in ihrem Geschäft etwas aussuchen." Heute findet Nicole Kaluza keine Portemonnaies. Nur wenig Dosen, nur wenig Flaschen.

Sie ist nicht die Einzige, die Leergut sammelt. Kaum ein Mülleimer in der Altstadt, der lange unbeobachtet bleibt. An fast jeder Ecke sieht man jemanden mit Plastiktüten Flaschen sammeln. Die beiden Polen Jan und Marcin etwa. Sie stehen direkt an der Bolker Straße und warten nur darauf, dass sich ihr Einkaufswagen füllt. Wenn sie nicht Pfandflaschen sammeln, gehen sie arbeiten. Als Maurer, Flieseleger, Maler, Trockenbauer - was halt so anfällt. Im Moment fallen eben Pfandflaschen an. Ein paar Meter weiter steht Sergej. Der 77-Jährige ist vor 17 Jahre aus Kasachstan nach Deutschland gekommen und besserte sich seine Rente mit Flaschen sammeln auf. "Jeder hat sein Schicksal", sagt Nicole Kaluza.

Sie hat kein Problem mit den anderen Sammlern. Mit einigen wechselt sie ein paar freundliche Worte. Andere ignoriert sie einfach. Freundlich spricht sie immer wieder Leute an, ob sie vielleicht eine leere Dose entbehren können. Klappt manchmal, nicht immer. Der Rosenmontagszug interessiert sie nicht. Ein flüchtiger Blick auf die Wagen, mehr nicht. Höchstens Bonbons sammelt sie noch auf. Für den Sohn, nicht für sich. Für Lebensmittel geht sie auch einmal in der Woche zur Tafel, um dort ein paar Sachen kostenlos zu erhalten. An der Kö sammelt sie die letzten Flaschen ein. Am Ende: etwas mehr als zehn Euro Pfand, vielleicht elf. Für einen kleinen Einkauf wird es reichen.

(jco/rm)
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