Rheinkirmes 2016 Von Mäusen und Menschen

Düsseldorf · Sebastian Göbel leitet die Wilde Maus. Der 26-Jährige muss reparieren, kassieren und buchhalten. Denn natürlich geht es um den Spaß auf der Kirmes. Aber eben auch um Geld und Existenzen von Großfamilien.

Ein Tag im Leben von Schausteller Sebastian Göbel
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Ein Tag im Leben von Schausteller Sebastian Göbel

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Klettertrompeten sind Rankpflanzen. Sie brauchen etwas, an dem sie sich festhalten können. Sebastian Göbel hat drei Stück davon vor seinem Wohnwagen, er schaut darauf, wenn er am Morgen so gegen 9 Uhr seinen ersten Kaffee trinkt. Der Wagen ist sein Elternhaus, 16 Meter lang, durchaus komfortabel, er hat ihn renoviert, als er ihn von seinen Eltern übernommen hat. Hier ist er groß geworden, zwischen den anderen Wagen, die ein Labyrinth aus engen Gassen und schmalen Höfen bilden, aus Bauzäunen, Kabelmasten und Versorgungsleitungen, über die man im Dunklen leicht stolpern kann. Teilweise wohnen die Schausteller und ihre Mitarbeiter Wand an Wand. "Man lebt und arbeitet zusammen", sagt Sebastian Göbel, bevor er sich auf den Weg macht, um seine Nachbarn für die anstehenden Arbeiten einzuteilen. Putzen, Aufräumen, die Kontrolle der Technik, Routinen, die nötig sind, damit der Betrieb den ganzen Tag läuft, ohne Pause, immer wieder auf zur wilden Fahrt. Göbel schaut von seiner Terrasse aus auf die nackten Stahlschienen seines Fahrgeschäftes, das er in diesem Jahr um einen Baum herum aufgebaut hat: die Wilde Maus.

Lehre bei Daimler, heute Chef im Familienbetrieb

Er hat lange überlegt, ob er denn wirklich miteinsteigen soll. Nach seiner Lehre bei Daimler als Mechatroniker machte ihm der Konzern ein gutes Angebot. Dennoch ist er sein eigener Chef geworden, im Familienbetrieb. Sein Vater plant von Worms aus die Tournee, auch für die vier Riesenräder, die in ganz Europa unterwegs sind. Mehr als 40 Mitarbeiter hat Familie Göbel, die Kosten sind immens, auch wenn die Wilde Maus schnell auf und abgebaut ist. Ein neues Riesenrad ist bestellt, es kostet rund vier Millionen Euro.

Der Vater ist heute wegen des Gästeschießens der Schützen in Düsseldorf. Hans Göbel mag die Düsseldorfer Kirmes sehr, im vergangenen Jahr haben die Schützen ihn geehrt, weil er seit mehr als 30 Jahren kommt. Er sitzt am Klapptisch bei den anderen geladenen Gästen. Er sagt, dass die Kirmes in Düsseldorf ja auch ein gesellschaftliches Ereignis sei, dass hier jeder hinkomme, reich und arm, dass die Stimmung stimme, die Menschen Spaß hätten, "und das ist wirklich nicht mehr überall so", sagt er.

In Düsseldorf stimmen die Umsätze

Natürlich ist ein weiterer Grund für die gute Stimmung bei den Schaustellern in Düsseldorf, dass die Umsätze eben stimmen. Die Leute kommen gern nach Oberkassel und das Geld sitzt relativ locker.

Sebastian Göbel schießt nicht. Stattdessen wollen Vater und Sohn noch zum Schaustellerfrühstück des Jäger-Corps 1844. Sie sind dort passive Mitglieder.

Schausteller seit 1894

Es ist Mittag und auf dem Kirmesplatz ist noch wenig los und Hans Göbel erzählt die Geschichte seiner Familie. 1894 beginnt die Geschichte der Schaustellerfamilie in Sachsen. Der Postbeamte Bernhard Göbel verliebt sich in eine Frau, die Töpfe aus Aluminium auf dem Markt in Dresden verkauft. Angezogen von der Frau und dem Milieu schmeißt er seine Beamtenlaufbahn, und eröffnet eine Zuckerbude und ein Kinderkarussell.

Nach dem ersten Weltkrieg kauft sein Sohn einen der ersten Autoskooter in Deutschland dazu. Der Familie geht es gut, bis zum Zweiten Weltkrieg. Dann beschlagnahmt die Wehrmacht die Wagen der Göbels, um Akten vor den nahenden Russen in Sicherheit zu bringen. Der Enkel Gerhard Göbel will seine Wagen nicht alleine lassen und fährt gemeinsam mit seiner Frau mit nach Hannover. Dort einmal angekommen, wollen sie nicht mehr zurück Sebastian Göbel ist nun die fünfte Generation als Schausteller. Beim Jäger-Corps gibt es Kaffee und Schnittchen, Sebastian muss dann auch wieder ins Geschäft, um 14 Uhr beginnt der Betrieb.

Außerdem liegt seine Freundin noch mit Migräne im Wohnwagen. Und das ist kein Spaß auf einer Kirmes, mit der Musik, dem Rattern, den Ansagen. Die Wilde Maus kommt ohne Musik aus, vor Jahren haben sie das schon beschlossen, "weil in der Nachbarschaft ja immer irgendwas läuft", sagt Sebastian Göbel. Die ersten Fahrten laufen ohne Probleme, dann fällt ein Relais aus, das Sebastian Göbel ersetzen muss. Er steigt in den Technik-Container, die Fahrgäste bekommen nichts davon mit, zahlen fünf Euro pro Person, an der Kasse sitzt Sebastian Göbels Mutter, am Bahnhof achten die Mitarbeiter darauf, dass beim Ein- und Aussteigen alles reibungslos klappt. Sebastian Göbel isst mit seiner Freundin im französischen Dorf zu Mittag. Es ist 15.30 Uhr.

Viele Schaustellerfamilien sind miteinander verwandt oder verschwägert

Auch Jill Stummer kommt aus einer Schaustellerfamilie, eigentlich ist das wohl beinahe die Voraussetzung für eine funktionierende Beziehung, kein Wunder also, dass viele der großen Schaustellerfamilien miteinander verwandt oder verschwägert sind. So werden Volks- zu Familienfesten, aber es gibt auch Ausnahmen. Sebastian Göbels Tante, Petra Göbel etwa, die an der Riesenrutsche kassiert, hat sich in ihren Mann auf der Kirchweih am Autoskooter verliebt. Das war 1975 und Petra Göbel liebt dieses Leben im Familienverbund, den Zusammenhalt, das gemeinsame unterwegs sein. Sie hat ihr altes Leben längst hinter sich gelassen.

Sebastian Göbel ist wieder an der Wilden Maus, immer mehr Leute kommen, je später es wird. Die Wilde Maus ist bei Jugendlichen und Erwachsenen beliebt, weil sie eben wild ist. Seit 1994 ist das Geschäft unterwegs, davor gab es die Maus aus Holz.

Feierabend gegen 1.30 Uhr

Sebastian Göbel verkauft nun Karten, wenn der Andrang sehr groß ist, sorgt er im Bahnhof für Ordnung, er entscheidet, mit wie vielen Wagen die Maus gefahren wird, springt ein, wenn ein Mitarbeiter Pause macht, tauscht Lämpchen aus, winkt die Kinder der Schausteller durch, die umsonst fahren dürfen. Es ist 23 Uhr, die Lichter leuchten, die Menschen stehen Schlange, die Stimmung ist ausgelassen. Um 0.30 Uhr ist die letzte Fahrt. Sebastian Göbel löscht das Licht, schließt ab, macht den Kassenschluss. Und kümmert sich in seinem Wohnwagen noch um die Dokumentation der Arbeitszeiten seiner Mitarbeiter. Damit der Mindestlohn für die aus Polen und Rumänien kommenden Männer gesichert ist, muss Göbel dokumentieren, wie lange sie arbeiten. Es gibt viele Vorschriften, die dazu führen, dass er erst gegen 1.30 Uhr Feierabend hat. Er könnte noch auf ein Bier irgendwo gehen, doch eigentlich ist sehr müde.

(RP)
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