Düsseldorf Akrobatik zwischen Angst und Verlorenheit

Düsseldorf · Beim "Düsseldorf Festival" ist die Produktion "Il Ritorno" der australischen Cirque-Nouveau-Formation Circa zu sehen.

Als der australische Regisseur sein Projekt "Il Ritorno" plante, konnte er wohl kaum ahnen, wie brisant seine Adaption der Geschichte der mythischen Odyssee zum Zeitpunkt ihrer Uraufführung und jetzt ihrer europäischen Erstaufführung im Theaterzelt auf dem Burgplatz sein würde. Yaron Lifschitz hat Claudio Monteverdis Oper von der Heimkehr des Odysseus aus den Wirren des Trojanischen Kriegs mit Primo Lewis abenteuerlicher Rückkehr von Auschwitz nach Italien verwoben und trifft damit das zentrale Thema unserer Tage: Flucht, Heimatlosigkeit, unsichere Ankunft an unwirtlichem Ort.

Yaron Lifschitz und seine berühmte Cirque-Nouveau-Kompanie "Circa" gastieren nicht zum ersten Mal beim "Düsseldorf Festival". Bereits vor zwei Jahren frappierten sie mit der Kreation "Opus", in der Tanz, Akrobatik und Zirkus auf die sperrigen Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch trafen, die live musiziert wurden. Auch diesmal gibt es Live-Musik: Neben der Bühne sitzt Tim Byrne am Cello, Catherine Stirling bedient abwechselnd Klavier und Cembalo. Das musikalische Fundament des Abends bildet Monteverdis Meisterwerk "Il ritorno d'Ulisse in patria", der Komponist Quincy Grant hat allerlei zeitgenössische Zutaten komponiert, ferner gibt es jiddische Lieder und das erste der "Kindertotenlieder" von Gustav Mahler.

Zwei Sängerinnen und zwei Sänger sind zudem als nebenberufliche Instrumentalisten beschäftigt, spielen bei Bedarf Querflöte, Akkordeon, Geige und bedienen die kleine Trommel. Diese insgesamt frugale Besetzung sorgt für Kargheit, Monteverdi klingt bis aufs Skelett heruntergehungert, gleichwohl erzeugen die verstärkten Klänge durchaus atmosphärische Dichte, sängerische und stilistische Abstriche inbegriffen.

Problematischer aber ist die Dramaturgie. Denn obwohl die Circa-Mitglieder viel mehr als Akrobaten sind, nämlich Tänzer und Performer, die feinste mimische und gestische Ausdrucksnuancen mit athletischen Einlagen, frappierenden Balanceakten und kraftraubenden Hebe-Figuren verbinden, sind sie eben doch vor allem Akrobaten. Die am Trapez Halsbrecherisches wagen, Pyramiden und Türme aus Menschen bauen, sich an Seilen in den Bühnenhimmel hinaufwickeln und sich wieder fallen lassen und überhaupt die Gesetze der Schwerkraft zu entmachten scheinen.

All das hat in seinen besten Momenten sehr wohl viel mit der Tragik von Heimatlosigkeit, Angst und Verlorenheit zu tun und mit der unendlich traurigen "Ulisse"-Oper. Wenn die Performer etwa gemeinsam mit den Musikern gedrängte Massen formen, die sich in Panik aneinanderklammern, assoziiert man unweigerlich ein überfülltes Flüchtlingsboot. Wenn sie Aggressionen und Ängste in kraftvollen Tableaus ausdrücken, geht das unter die Haut. Zumal die sechs Performer niemals reine Kraftmeierei betreiben, sondern die minuziös choreografierten Tableaus, Duos und Soli sich meist ganz organisch aus der Musik entwickeln.

Dennoch gibt es immer wieder Momente, wo dann einfach die pure Akrobatik gefragt ist, wo Muskelkraft, Gelenkigkeit und Wagemut den sportlichen Beifall wecken und das Interesse an der Geschichte vorübergehend still stellen. Da hätte es einfach mehr Mut zu weniger Akrobatik gebraucht.

(RP)
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