Düsseldorf Als Bertolt Brecht ein Flüchtling war

Düsseldorf · Die eigenen Erfahrungen auf der Flucht aus Nazi-Deutschland hat Bertolt Brecht in seinem Text "Flüchtlingsgespräche" aus dem Jahr 1940 verarbeitet. Am Schauspielhaus wird der Text nun gespielt - als Kommentar zur Gegenwart.

Die Einsamkeit führt zwei Männer in einer Bahnhofskneipe an einen Tisch: Ziffel ist Wissenschaftler, Kalle Arbeiter, und womöglich hätten sie nie ein Wort miteinander gewechselt, wären sie nicht beide auf der Flucht - Vertriebene aus Deutschland, die sich vor den Nazis in Sicherheit bringen mussten. Und nun sitzen die Männer, Vertreter zweier Klassen, bei Kaffee, Bier und Zigarre in dieser Spelunke in Helsinki, ohne Papiere, ohne Perspektive, haben nur noch sich und ihre Überzeugungen - das macht gesprächig.

1940 floh Bertolt Brecht mit seinen Kindern und Gefährtinnen nach Helsinki. Eine Odyssee lag da bereits hinter ihnen. 1933 hatte der Dichter, Dramatiker und Kommunist Deutschland verlassen müssen, war nach Stationen in Prag, Wien, Zürich und Paris nach Dänemark gegangen. Als auch dort die Lage für ihn zu prekär wurde, flüchtete er nach Finnland, von dort sollte es über Moskau weitergehen in die USA.

Das Schreiben muss für Brecht in dieser unsteten, bedrohlichen Zeit ein Halt gewesen sein, jedenfalls war er ungemein produktiv in den Jahren seiner Flucht und schrieb die eigenen Erfahrungen in seine Stücke und Texte ein.

So auch in die "Flüchtlingsgespräche", die Brecht selbst "einen kleinen satirischen Roman mit einem zeitgenössischen Sujet" genannt hat und erst in den USA vollenden sollte.

Die beiden Schauspieler Jürgen Mikol und Andreas Weißert hauchen diesem Text nun neues Leben ein und bringen es im Kleinen Haus des Schauspielhauses auf die Bühne. Weißert gibt den linken Intellektuellen im Tweed-Anzug, der beschlossen hat, seine Memoiren zu schreiben. Mikol ist der Proletarier in Seemannskluft, der zunächst vor allem Zuhörer ist für den Schicksalsgenossen. Der Arbeiter ist der Adressat für Ziffels autobiografisches Schreiben und damit ein Überlebensgrund. Doch bald mischt sich auch Kalle ein, erklärt seine Sicht auf den Kapitalismus und den Krieg und wie sie einander bedingen. Da lässt Brecht die Arbeiterklasse auftrumpfen, Kalle wird zum Aufklärer und Erzieher des bürgerlichen Freundes und schwört ihn auf den Sozialismus ein.

Und so stehen die Männer am Ende Schulter an Schulter und träumen von einer Zukunft, in der jeder mit einem Minimum an Intelligenz, Mut, Vaterlandsliebe, Freiheitsdrang und Ehrgefühl auskommen kann. Es ist Brechts Umschreibung für das Karl-Marx-Prinzip: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!"

Es fallen an diesem Abend viele hellsichtige Sätze über Erziehung, Freiheit, die Gefährlichkeit des Denkens und die Ohnmacht des Flüchtlings, der nur mit Papieren an der Brust etwas gilt. Brecht hat der Gegenwart durchaus etwas zu sagen. Doch sind seine "Flüchtlingsgespräche" wenig elegant konstruiert, und die szenische Umsetzung bleibt hölzern. Die Männer sagen einander die teils komplexen Texte auf, zähe Kost für Dialoge. Zwar berührt die Ernsthaftigkeit, mit der die Schauspieler ihren Brecht in die Gegenwart schleudern - und wenn sie Zitate von Politikern wie CSU-Chef Horst Seehofer oder Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zu Flüchtlingsfragen heute bringen, wirkt das entlarvend. Doch so ehrenwert das Anliegen, die Form bleibt altbacken.

Trotzdem schade, dass die Premiere nur schlecht besucht war. Es ist die rechte Zeit, wieder über Thesen des Bert Brecht nachzudenken.

(dok)
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