Düsseldorf Am Küchentisch von Martin Baltscheit

Düsseldorf · Der Kinderbuchautor hat einen Film gedreht. Er handelt von den schönsten 24 Stunden im Leben einer Eintagsfliege. Ein Hausbesuch.

 Martin Baltscheit in seiner Küche in Unterbilk. Die Kunstwerke im Hintergrund brachte er zum Teil von Reisen mit.

Martin Baltscheit in seiner Küche in Unterbilk. Die Kunstwerke im Hintergrund brachte er zum Teil von Reisen mit.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Als man seine Küche betritt und die ungewöhnlichen Kunst- und Fundstücke an der Wand sieht und dazu seine Stimme hört, fällt einem sofort der Titel einer neuen Fernsehreihe ein, die er unbedingt mal verwirklichen muss: Baltscheits Bilder. Martin Baltscheit sollte darin in diesem angenehmen Erzähler-Tonfall, mit dem er jeden Zuhörer umgarnt und einwickelt, erklären, was es auf sich hat mit den vielen Objekten über seinem Küchentisch: Kinderzeichnungen, Postkarten, ein Hochzeitsfoto von Baltscheit und seiner Frau unterm Regenschirm, Masken, Schmetterlinge, Hufeisen und ein Autogramm von Hannelore Kraft. So eine Sendung würde man sich gerne ansehen, das wäre doch was.

Der 51-Jährige ist einer der fleißigsten Kinderbuchautoren Deutschlands. Von ihm stammen "Der kleine Herr Paul", "Major Dux" und "Die Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte". Unter anderem. Zwei Menschen, die grinsend aus dem Kreißsaal kommen und nun kein Paar mehr sind, sondern Eltern, können sicher sein, dass sie in den nächsten paar Jahren mehrfach auf den Namen Baltscheit stoßen werden. Kinderzimmer ohne Baltscheit-Werke gibt es nämlich fast gar nicht. Der Mann spricht in Dutzenden Hörspielen, und jetzt kommt seine erste Regiearbeit ins Kino: "Nur ein Tag" ist die Adaption seines Kinderbuchs über eine Eintagsfliege. Fuchs und Wildschwein verhelfen ihr zu den besten 24 Stunden ihres Lebens. Sozusagen.

Baltscheit ist Düsseldorfer, er wohnt in Unterbilk, und seiner Wohnung merkt man an, dass darin jemand lebt, der sein Geld mit Fantasie verdient. Das "Yellow Submarine" der Beatles steht als Lego-Modell im Regal. Der eine Teil des Wohnzimmers ist voller Kinderbücher, im anderen Teil stehen ein Klavier, Spielzeug und ein historisches Bobby Car, und man weiß nicht so genau, wen diese Dinge mehr erfreuen: den Hausherrn, die neun Jahre alten Zwillinge oder die drei Jahre alte Tochter.

"Kinder sind süchtig nach Geschichten", sagt Baltscheit und stellt sich und dem Gast naturtrübe Apfelschorle auf den bunt bemalten Küchentisch, an dem auch zwei "Tripp Trapp"-Hochstühle platziert sind. Pralle Kirschen liegen in einer weißen Schale, die Türen zum Balkon mit Blick in den Innenhof stehen auf, Vögel zwitschern. Gute Atmosphäre zum Kinderbücherschreiben, denkt man.

Und Martin Baltscheit trägt noch viele davon in seinem Kopf. Er redet, er sprudelt, er läuft über. "Man muss Kindern ja nur sagen: Es war einmal ein Schuh, der hatte keine Sohle mehr. Dann wollen sie sofort wissen, wie es weitergeht." Man könne ihnen alles erzählen, findet er, die härtesten Sachen, aber es müsse gut ausgehen. Das ist seine Poetik. "Kinder dürfen mittendrin Tränen in den Augen haben, aber der Schluss der Erzählung muss beflügelnd wirken und ihnen ein gutes Gefühl geben."

So wie bei "Nur ein Tag". Die Geschichte ist einer von Baltscheits großen Hits. Er hat sie sich nicht selbst ausgedacht, sondern sie gewissermaßen gepflückt. Auf einer Party habe ihn eine Dame angesprochen, sie habe von der Idee ihrer elfjährigen Tochter Anna erzählt - Eintagsfliege, Fuchs und Wildschwein -, und Baltscheit war ganz hin und weg. Ob er die Geschichte haben könne, fragte er Mutter und Tochter. Und als die ja gesagt hatten, machte er ein Buch daraus.

Verfilmt hat Baltscheit "Nur ein Tag" nun selbst und mit echten Menschen. Das ist ein ziemlich schöner Effekt, wobei man erst denkt, das gehe ja gar nicht, dass Schauspieler ohne Maske eine Eintagsfliege und einen Fuchs spielen. Aber nach fünf Minuten ist man drin im Film, man hat Baltscheits Spielregeln angenommen.

Das ist ein angenehm langsamer Film geworden, "Arthaus für Kinder", wie Baltscheit sagt. In nur zwölf Drehtagen ist er entstanden, und zwar im Garten eines früheren Stifts für adelige Damen in Köln. Während der Dreharbeiten hat es fast immer geregnet, erzählt er, aber das merkt man nicht, die Bilder sind sonnendurchflutet, durchweht von gutem Geist.

Seine Ideen setzt Baltscheit zumeist nicht in seiner Wohnung um, sondern zwei Etagen darüber in seinem Atelier. Sein Arbeitszimmer dort ist mit einer Waldtapete beklebt, Tiere schauen zwischen den Bäumen hervor, und vor diesem Prospekt entsteht an einem digitalen Zeichenbrett zurzeit ein Bilderbuch über den einsamsten Wal der Welt, der von seinen Artgenossen nicht verstanden wird, weil er in einer zu hohen Frequenz singt. Er schwimmt ganz alleine im Meer, und das sieht ziemlich herzzerreißend aus.

Man steht da und nickt traurig. Einsamkeit ist nicht gut. Aber zum Glück gibt es Freunde. "Wenn man unter Freunden ist und sich in einer Gemeinschaft aufhält, sind Probleme gar nicht schlimm", sagt Baltscheit. Das stimmt.

Man verlässt die Wohnung mit einem guten Gefühl.

(hols)
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