Düsseldorf Begegnung mit einer Wortgewaltigen

Düsseldorf · Nora Gomringer ist die Tochter des berühmten Vaters der Konkreten Poesie, Eugen Gomringer, und einer promovierten Germanistin. Kein Wunder, dass sie die Sprache beherrscht wie kaum jemand sonst.

Welches das erste Wort gewesen sei, das je über ihre Lippen gekommen ist, sollte meine erste Frage an Nora Gomringer sein - und die zweite, wie enttäuscht ihre Eltern gewesen seien ob dieses schnöden "Mama" oder "Papa" oder "Hunger".

Und dann platzt die 37-Jährige heraus: "Licht!" Und in dieser einen Silbe schwingt eine Mischung aus Triumph, Entschuldigung und purer, kindlicher Freude mit. Ihr erstes Wort dasselbe wie Goethes letztes, und das auch noch bei ihrer Taufe im Alter von elf Monaten. Das beteuere zumindest ihre Mutter, "aber die ist auch Germanistin und interpretiert vielleicht auch über. Vermutlich meinte ich bloß ,Gicht'."

Existenzialismus und Namedropping, Koketterie und Schabernack - ein echter Gomringer. Das Energiebündel mit der kaum zu bändigenden dunklen Mähne reist gerade mit dem Jazz-Schlagzeuger Philipp Scholz durch Deutschland, um Gedichte zu rezitieren; knurrend, gurrend, flüsternd, lispelnd, schweigend. Sie ist weit gekommen seit ihrer Kindheit auf dem Land in Oberfranken, wo die Familie manchem Dörfler als "Kennedys von Wurlitz" galt dank ihres Poesie-Popstar-Vaters, der ständig um die Welt jettete.

Gerade wurde sie in der "Frankfurter Allgemeinen" fast hymnisch gelobt für das Programm, das sie gleich noch in der Jazz-Schmiede zeigen wird, im Zug hat sie noch geschrieben, nun schneit sie noch auf einen Sprung ins Zakk, um schnell noch etwas zum Thema 20 Jahre "Slam-Poetry" in Düsseldorf und Deutschland zu sagen.

Ab 2001 hatte sie Bamberg zu einer frühen Hochburg des modernen Dichterwettstreits gemacht, aus "Notwehr" gegen die Langeweile im Studium - Germanistik, Anglistik und Kunstgeschichte. Die Entwicklung dieser Szene verfolgt sie mit der Strenge der Hebamme, die sie ja ist. Vor allem ärgert sie sich über den Frauenanteil von noch immer nur zehn Prozent, maximal, über die Durchsetzung des Wettbewerbsgedankens und darüber, dass die Gagen für die Poeten verschwindend gering sind, nach wie vor. "Ich war mein ganzes Studium lang verschuldet", erinnert sie sich, denn schon, als sie die Räume ihrer Siebener-WG zur Bühne umfunktionierte, sorgte sie eisern dafür, dass keiner der teils schon aus dem Ausland anreisenden Künstler auf seinen Reisekosten sitzenblieb. Sie selbst sprach schon damals mit Vorliebe über Tabuisiertes. Den Liebesgedichten und abstrus-amüsanten Kurzgeschichten der anderen setzte sie Texte über Vergewaltigung und den Holocaust entgegen. Fast folgerichtig als Enkelin einer bolivianischen Indianerin (väterlicherseits), aber eben auch eines SS-Offiziers (mütterlicherseits), die schon als Elfjährige in Auschwitz stand.

Seit 2010 ist sie neben der Dichterei auch "Herbergsmutter", leitet das Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg, betreut dessen zwölf Stipendiaten aus aller Welt und sammelt Auszeichnungen, darunter 2015 sensationell den Ingeborg-Bachmann-Preis. Die Anerkennung dafür drang zunächst kaum zu ihr durch zwischen der Schmähkritik, die es auch hagelte, per Facebook und E-Mail vor allem. "Einer hat auch meine Bücher gekauft, nur um die Seiten rauszureißen und durch Klopapier mit der Aufschrift ,Scheiße' zu ersetzen und mir dann per Post zuzuschicken", erzählt sie.

Mit inhaltlicher Kritik hätte sie umgehen können, aber die kam nicht, bloß immer neue Variationen von: "zu hässlich, zu dick, absolut unverdient, Vetternwirtschaft".

In ihrer eigenen Arbeit lässt sie sich von allem inspirieren, "ich bin da null wählerisch": Heinrich Heine und Alf, Gangsta-Rap und Werbung. Das Sehen allerdings erscheint ihr als überreizter und abgenutzter Sinn, umso mehr sei das Hören im Kommen und damit die Sprache. Das zeigt sich aber eben nicht nur an den Verkaufszahlen von Hörbüchern, sondern auch an ihrem Missbrauch durch die Rechtspopulisten dieser Welt, den Gomringer mit großer Sorge beobachtet: "Ich meine, ,Lügenpresse' und ,Volksverräter' - als hätte man Winterschlaf gehalten seit den späten 30er Jahren."

Mit der distanzierten Verwunderung der Forscherin hat sie neulich bemerkt, dass sie für Rechte das perfekte Feindbild abgibt: "Künstlerin und auch so eine Art Intellektuelle, links und emanzipatorisch."

Ihren Optimismus verliert Gomringer über all das nicht: Sprache möge den Rechtspopulisten in aller Welt zu Erfolgen verholfen haben - aber auch zu Fall gebracht würden sie durch Sprache, durch Worte, von Richtern, Journalisten, Künstlern oder auch ganz normalen Bürgern. "So habe ich das immer erfahren", sagt Gomringer zum Abschluss schlicht, und in diesen sechs Wörtchen schwingt unendlich viel Gelassenheit mit und Zuversicht.

(tojo)
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