"Sender Freies Düsseldorf" Bienenstock der Informationswut

Düsseldorf · Am Schauspielhaus bringt Schorsch Kamerun eine lebende Installation auf die Bühne: Darsteller senden aus durchsichtigen Studios undurchsichtige Botschaften. Die Leerstellen muss der Zuschauer füllen. Er wird gefordert – und überfordert, denn für den Text bleibt keine Ruhe.

 Ein Stück zum Reinhören und Begucken: Das Geschehen auf der Bühne des Kleinen Hauses war in Waben unterteilt.

Ein Stück zum Reinhören und Begucken: Das Geschehen auf der Bühne des Kleinen Hauses war in Waben unterteilt.

Foto: Sebastian Hoppe

Am Schauspielhaus bringt Schorsch Kamerun eine lebende Installation auf die Bühne: Darsteller senden aus durchsichtigen Studios undurchsichtige Botschaften. Die Leerstellen muss der Zuschauer füllen. Er wird gefordert — und überfordert, denn für den Text bleibt keine Ruhe.

Plötzlich ist ganz viel los auf der Bühne mit den transparenten Kabinen: Frauen in Jackie-Kennedy-Kleidern treffen sich in einem der Sendestudios zur Lagebesprechung; nebenan sitzt einer auf geblümtem Sessel und liest; in der Lounge dahinter gibt der linke Liedermacher Dieter Süverkrüp ein Interview, das man nicht hört. Und auf einer Leinwand ist ein Video zu sehen, in dem Menschen in weiße Ganzkörper-Anzüge steigen, zu den Bilker Arcaden fahren, Passanten ihre Handys oder Zeitungen aus der Hand reißen und ihnen dafür Briefumschläge ohne Inhalt übergeben.

Dann wieder Live-Aktionen in den Zellen auf der Bühne: Hier ein Monolog vor der Videokamera, dort schrauben welche an der Ausstattung herum. Es ist, als schaue man in einen Bienenstock. Emsiges Treiben in allen Waben. Natürlich hat man dafür nicht Blicke noch Ohren genug. Also schaut und lauscht man hier und da hin, macht sich seinen eigenen Reim. Bis Schorsch Kamerun in der Musikwabe ans Mikrofon tritt und im ersten Song einen Hinweis gibt: Die Sendung an diesem Abend solle kein Ausstieg sein aus der Informationsflut unserer Zeit. Sie wolle etwas Neues beginnen, etwas Unbekanntes, Ernsthaftes. Zum Auftakt also maximaler Anspruch: eine Sendung gegen die Sendeflut. Etwas Neues im Zeitalter des Alles-schon-Dagewesenen. Das verlangt Sendungsbewusstsein.

Ein hermetisches Stück zum Reinhören und Begucken hat Schorsch Kamerun im Kleinen Haus des Schauspielhauses auf die Bühne gebracht. Er selbst nennt es Konzertinstallation. In "Sender Freies Düsseldorf" sprechen Darsteller Kamerun-Texte, die recht kryptisch die Überfülle an nichtigen Botschaften in der Medienwelt anprangern und zu selbstständigem, unverbrauchtem Denken auffordern. Die Texte sind locker gewirkt, sie haben viele Deutungslücken, der Zuschauer ist gefordert — und überfordert, denn auf der Bühne bleibt keine Ruhe für den Text.

Es ist ja so viel los. Da werden wie bei Katie Mitchell Videosequenzen live mit Geräuschen versehen, nette, harmonische Lieder gesungen. Der Zuschauer kann die Gedanken schweifen lassen, flugs vergeht die Zeit. Schon sammeln sich die Darsteller hinter einem schwarz geschmückten Kofferradioträger zur Abschlussprozession.

So verlässt man den Saal bald wieder mit ein paar hübschen Sätzen im Kopf: "Warum versuchen eigentlich alle, sich immer ähnlicher zu werden?" etwa oder "Beendet simulierte G'schichte/ Schafft Euch eigene Gedichte". Kritische Bonmots, die allerdings niemanden anklagen, niemandem wehtun.

Kamerun will kein Parolentheater. Darum verlegt er sich auf Gewusel in Waben, Paradoxe in Liedform und Texte mit Leerstellen zum Selbstbefüllen. Das ist sympathisch, von den Kostümen bis zu den Videopassagen sorgsam inszeniert, und bleibt doch harmlos. Kamerun benutzt die Ästhetik des Unfertigen, Bruchstückhaften, um dem Zuviel an glatten Botschaften etwas Sperriges, Unverdautes entgegenzusetzen. Doch seine Botschaftsverweigerung bleibt ein abgeschirmtes Schauspiel auf der Bühne ohne Kontakt zum Publikum, sie hat nicht das Angriffslustige, wie es gute Schlingensief-Arbeiten hervorbringen konnten.

Dieser Abend versendet sich, weil er sich in der eigenen Reizüberflutung verliert. Und weil er der vielen Pseudo-Botschaften überdrüssig, keine eigene formulieren will. Wer sich in die Informationsflut wirft, kommt darin um. Es sei denn, er hat etwas zu sagen.

(RP/jco)
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