Düsseldorf Bilder gegen den Kalten Krieg

Düsseldorf · Nach 40 Jahren stellt Galerist Hans Mayer in Düsseldorf die Künstlerin Katharina Sieverding aus mit ihrem Zyklus "Norad I - VI".

 "Norad I" (1980) von Katharina Sieverding - Teil eines Zyklus, den Hans Mayer ausstellt.

"Norad I" (1980) von Katharina Sieverding - Teil eines Zyklus, den Hans Mayer ausstellt.

Foto: Klaus Mettig/VG-Bildkunst 2016

1980 hing schon einmal der Bilderzyklus "Norad I -VI" in der Düsseldorfer Kunsthalle. Andy Warhol war zu Gast in der Stadt, bei seinem Freund, dem Galeristen Hans Mayer. Der nahm ihn mit in die Ausstellung von Katharina Sieverding. Sieverding und Warhol kannten sich aus New York. Die Wege zwischen der tonangebenden rheinischen Kunststadt und der internationalen Metropole waren damals kurz, Austausch und Verständigung intensiv. Warhol fotografierte in der Ausstellung - die noch blonde Künstlerin, die heute rote Haare trägt, den noch jungen Galeristen und einen Mann am Rand, Christof Schumacher, der zur Szene gehörte, den aber kaum noch jemand kennt.

Warhols Fotos sind leider nicht überliefert, der "Norad"-Zyklus indes ist wieder da. Nach 40 Jahren Galerien-Abstinenz in Düsseldorf hat Hans Mayer die Künstlerin animiert, ihre gewaltigen Kompositionen über die Mechanismen der Macht wiederherzurichten, neu zu rahmen, auch dem Markt anzubieten. Sieverding tat dies gerne. Drei Motive liegen dem Block zugrunde. Ausgangspunkt war ein Bericht des "Spiegel" über Pannen in der US-Atomwaffenzentrale namens Norad.

Das dazugehörende Foto zeigte den Eingang der unterirdischen Zentrale im Cheyenne Montain/Colorado: eine große Einfahrt in den Berg, ein Jeep mit Fahrer, die verhältnismäßig klein wirken. Sieverding vergrößerte dieses Foto auf 4,50 mal 5,40 Meter und projizierte eine Frauengestalt darüber. Einer Madonna gleich breitet diese ihren Mantel über die Szene. Der Kontrast der Farben Rot und Grün kann als Botschaft gelesen werden - Rot kündet von der Aggression, dem atomaren Inferno, Grün steht für Verheißung, Besänftigung.

Es herrschte noch Kalter Krieg, als diese Arbeit entstand. Im Jahr 2016 hat sie angesichts neuer Weltkonflikte an Gültigkeit und Dringlichkeit nichts eingebüßt. Auch die anderen Motive überdauern die Zeit. Auf die Todesstrafe verweist das Bildnis eines Mannes hinter Gittern, vor dem Todeskandidaten steht ein Einmachglas mit gefangen gehaltenem Tier. Ein magenta-gesättigtes Porträt mit schwarz-grün schattierten Zäsuren ist entstanden. Der Blick bleibt hängen am Täterkopf.

Dazu reiht sich der Liebesakt, damals wie heute oftmals von Gewalt überdeckt. Groß dominiert die männliche Figur das Bild, im Sand verbuddelt liegt die Frau - zart, schemenhaft. Immer ist es das Größenverhältnis, das die Verhältnisse von Macht anzeigt. Scharfe Schnitte setzen auf dem Doppelbild zusätzlich Akzente. Die Farben generiert Sieverding einer Malerin gleich. Hans Mayer sagt: "Die Fotografie ist ihre Ölfarbe."

Katharina Sieverdings Stil ist unvergleichlich, sie möchte nicht als Fotokünstlerin bezeichnet werden. Für sie ist Fotografie die Kunst des Lichts, initiiert und durchdrungen von Denkprozessen. Sieverding arbeitet seit je her mit der Hand im eigenen Labor, aufwendig ist das und hochkomplex, wenn sie ihre Belichtungsspiele treibt und Filmschichten auf verschiedenen Ebenen übereinanderlegt. Digitale Eingriffe nimmt sie nicht vor. Unvorstellbar für Fotokünstler von heute.

Irrtümlicherweise unterstellt man nachfolgenden Generationen, insbesondere den Absolventen der Düsseldorfer Photoschule, sie hätten die Farbe in die Fotografie gebracht und als erste Großformate gewagt. All dies ist nicht korrekt. Sieverding kalkulierte das große Format schon in den 1960er/70er Jahren. Sie nennt es Life-Size, Lebensgröße. Der Betrachter soll sich ins Bild hineinbeamen, sich vertiefen, sich verlieren. In diesem Prinzip vereinigt die Künstlerin verschiedene Aspekte, architektonische, skulpturale, cineastische, dynamische. "Aus einem Foto muss ich ein Bild machen", sagt sie, "aus dem Bild einen begehbaren Bildraum." Das war ihr erstes Statement, an dem sie bis heute festhält.

Der Zyklus "Norad I-VI" hat schon Museumsreife erlangt. Die Ausstellungskarriere dieser gesellschaftspolitisch feinsinnig verschlüsselten Bilder erstreckt sich von Düsseldorf u. a. über die Documenta (1982), über Moskau und Leningrad (1988) bis in die Kunstsammlung NRW (1997). Jetzt schließt sich der Kreis in Düsseldorf. Sehenswert ist das.

(RP)
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