Petra Gerster und Christian Nürnberger "Im Internet liegt die Wahrheit neben der Lüge"

Düsseldorf · Die Fernsehmoderatorin und der Publizist über den Vertrauensverlust der Medien. Durch Pegida wurde die Krise sichtbar, sagen sie.

 Pegida-Demonstration in Dresden im Dezember 2014. Für die Autoren Petra Gerster und Christian Nürnberger waren die Proteste und das dortige Misstrauen gegen Journalisten ein Anlass für ihr Buch.

Pegida-Demonstration in Dresden im Dezember 2014. Für die Autoren Petra Gerster und Christian Nürnberger waren die Proteste und das dortige Misstrauen gegen Journalisten ein Anlass für ihr Buch.

Foto: Reuters

Petra Gerster moderiert seit 20 Jahren die "heute"-Nachrichten im ZDF, Christian Nürnberger ist ebenfalls Journalist - nun haben sie ein Buch über die Medien und ihre Macher geschrieben. Es heißt "Die Meinungsmaschine" und ist nicht die erste gemeinsame Veröffentlichung der Autoren, die übrigens verheiratet sind. Am Donnerstag stellen sie ihr Buch in Düsseldorf vor.

Was hat Sie veranlasst, das Buch zu schreiben?

Gerster Der Auslöser war natürlich die Keule "Lügenpresse", die auf die sogenannten Mainstream-Medien niedersauste. Die Pegida-Demonstrationen, der Schlachtruf "Haut die Presse auf die Fresse", die Schimpfkanonaden in den sozialen Medien und in den Leserbriefspalten, die Hass-Mails und die tätlichen Angriffe auf Journalisten - so etwas hatten wir in den Jahrzehnten unseres Journalistenlebens noch nicht erlebt. Das war etwas historisch Neues.

Gleichzeitig schreiben Sie auch, dass die "Lügenpresse-Rufe" leiser geworden sind. Ist die Krise schon überwunden?

Nürnberger Überwunden ist sie noch nicht, aber das Schlimmste ist überstanden - übrigens vor allem dank Putin und Trump. Sie bilden derzeit so etwas wie ein Duett der größten Desinformationsschleudern aller Zeiten. Der US-Präsident hat es allerdings schwerer, denn ihm wird von einer immer noch freien Presse widersprochen. Je holzköpfiger er versucht, das Vertrauen in die kritischen Medien zu untergraben, desto mehr vertrauen die Leute wieder ihren klassischen Medien. Und dank dieser "vierten Gewalt" beginnt sich seit einiger Zeit nun auch herumzusprechen, dass es mit der Glaubwürdigkeit der sozialen Medien nicht so weit her ist. Darin steckt eine echte Chance für die alten, klassischen Medien, zumindest im Westen. In Russland ist es Putin leider gelungen, kritischen Journalismus weitgehend auszuschalten.

Ein Kapitel in Ihrem Buch heißt: "Informationsgesellschaft oder Desinformationsgesellschaft". In welcher leben wir?

Gerster In beiden. Wer sich ernsthaft über diese Welt informieren will, hatte es dank des Internets noch nie so leicht wie heute. Andererseits war es noch nie so schwer wie heute. Das Internet wird heute von Russland, China, islamischen Staaten und Geheimdiensten als Mittel der psychologischen Kriegsführung genutzt. Da werden bewusst falsche Behauptungen als Tatsachen ausgegeben. Und natürlich wird das Internet auch von Interessensgruppen, Verbänden und Unternehmen als Mittel der Werbung und PR genutzt. Daher liegt in den Datenhalden des Internets die Wahrheit direkt neben der Lüge und neben der Halbwahrheit, und es gibt niemanden, der die drei voneinander unterscheidet.

Ein Leserkommentar auf Amazon hinterfragt Ihre Neutralität: Sie seien als Medienmacher zu sehr Teil der Maschinerie und Filterblase, um objektiv sagen zu können, wem man heute noch glauben kann. Was sagen Sie dazu?

Nürnberger Vermutlich hat er das Buch nicht oder nicht ganz gelesen, denn in einem der Kapitel erklären wir, dass durch die Konkurrenz der Medien das Nachrichtengeschäft in Ländern mit Pressefreiheit ein sich selbst kontrollierendes System ausbildet. Vier große Nachrichtenagenturen mit Zehntausenden von Journalisten in aller Welt, dazu die Reporter, Korrespondenten und Redakteure der Zeitungen, des Hörfunks und des Fernsehens beobachten sich gegenseitig und werden schnell stutzig, wenn da einer etwas berichtet, was die anderen nicht berichten. Dann gibt es im Grund nur zwei Möglichkeiten: Dieser eine hat seine Nachricht exklusiv, oder er ist einem Irrtum aufgesessen. Welche der beiden Möglichkeiten zutrifft, lässt sich von den Heerscharen der anderen Journalisten rasch klären. Daraus folgt: Man muss uns beiden Autoren nicht persönlich glauben. Es genügt, die Mechanismen des Geschäfts zu verstehen, dann kann jeder selbst entscheiden, wem er vertrauen kann und wem eher nicht.

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Medien-Vertrauen und der Verbreitung von Fake-News?

Gerster Daran haben Putin, die Pegida und die AfD gemeinsam gearbeitet, indem sie durch selbstgemachte Fake-News das Vertrauen in die Medien zu untergraben versuchten. Das ist ihnen teilweise gelungen, und sie probieren es immer noch weiter. Wir wissen heute, dass Putin ganze Trollfabriken beschäftigt, um mit erfundenen Meldungen das Vertrauen in die hiesigen Medien zu untergraben. Diese teilweise von Computern generierten Falschmeldungen finden in Deutschland ihr Publikum, das die Falschmeldungen im Netz weiterverbreitet, wo sie in geschlossenen Gesinnungsgemeinschaften als Wahrheit gehandelt werden.

Warum werden Fake-News überhaupt konsumiert?

Nürnberger Die Welt produziert von Tag zu Tag mehr Information. Das überfordert uns alle. Es wird immer schwieriger, sich in dieser wachsenden Komplexität zurechtzufinden, den Überblick zu behalten, sich ein zutreffendes Bild von der Welt zu machen. Am schwierigsten ist es anscheinend, Ungewissheit auszuhalten oder ein Wissen zu korrigieren, das man für gesichert gehalten hat. Vielen ist das wohl zu anstrengend, also richten sie sich in vermeintlichen Gewissheiten ein und nehmen nur noch zur Kenntnis, was sie in dieser Gewissheit bestätigt. Was geeignet wäre, diese Gewissheit infrage zu stellen, wird ausgeblendet oder als Produkt der "Lügenpresse" abgewehrt.

NATALIE URBIG FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort