Düsseldorf Capoeira-Workshop für Menschen mit Parkinson

Düsseldorf · Im Tanzhaus findet noch bis Mitte Dezember die Reihe "Real Bodies" statt, bei der Schönheitsideale hinterfragt werden.

 In der Reihe "Real Bodies" veranstaltet das Tanzhaus auch einen Workshop speziell für Menschen mit Parkinson.

In der Reihe "Real Bodies" veranstaltet das Tanzhaus auch einen Workshop speziell für Menschen mit Parkinson.

Foto: Andreas Endermann

Im Tanzhaus NRW geht es derzeit um "Real Bodies". Bettina Masuch, die Intendantin des Hauses, spricht von einem neuen Körperverständnis, weg von dem Idealbild des jungen, fitten Tänzers: "Durchschnitt ist schön". Noch eine Stufe weiter gehen einige Workshops. Sie bieten Tanz für Menschen mit Parkinson an. Teilnehmen können aber auch andere Interessierte. Grundlage des Programms ist ein israelisch-deutsches Forschungsprojekt, das in Freiburg durchgeführt wurde. Tanz, so lautet das Ergebnis von "Störung/Hafra'ah", kann Symptome der Parkinson-Erkrankung lindern.

Die journalistische Neugier führt zu einem Selbstversuch. Samstagnachmittag. Vorbei geht es an großen Räumen voller junger, fitter Tänzer. Vom schönen Durchschnitt ist hier nichts zu sehen. In einem Raum ganz am Ende sammelt sich eine Gruppe von etwa 15 Personen um den Workshop-Leiter Ofir Yudilevitch. Ofir stammt aus Israel, hat aber eine Zeit lang in Brasilien gelebt und dort die Tanz- und Bewegungsform "Capoeira" erlernt. Wir bilden einen Kreis mit Stühlen und beäugen uns. Wo sind die Patienten? Denn als solche hat man doch im Kopf Menschen mit einem Leiden abgespeichert. Die Suche nach Anomalie ergibt zunächst einmal große Altersunterschiede.

Als Einstiegsübung werden Arme und Beine auf einen Rhythmus gebracht, man darf dabei noch sitzenbleiben. Klatschen kommt dazu, erste Defizite werden jetzt hörbar, eindeutig dem mangelnden Rhythmusgefühl Einzelner geschuldet. Anschließend kommen die Stühle weg. Wir sollen Paare bilden, uns mit schwingenden Körpern belauern, auch mit den Händen berühren. Hier zeigt sich als zweites Defizit die Fremdheit im Umgang miteinander. Sie verursacht störende Hemmungen. Anschließend geht es auf den Boden. Ein drittes Defizit macht sich zumindest bei mir bemerkbar: Es hapert ganz schön mit der eigenen Gelenkigkeit. Immer mehr sind auch andere Teilnehmer mit sich selbst beschäftigt, während unser Lehrer Ofir längst diejenigen ausgemacht hat, denen tatsächlich die Parkinson-Krankheit motorische Probleme bereitet. Diskret nimmt er sie in seine Obhut.

Wie es sich anfühlt, sich über den Boden zu bewegen, die Hände und Füße zum Abstützen und Abrollen zu benutzen, das ist für einige von uns ziemlich unbekanntes Terrain. Bald wuseln manche auf der Fläche herum wie Gregor Samsa aus Kafkas "Verwandlung". Capoeira beinhaltet Tanz, Akrobatik, Wettkampf, Spiel, Musik und Gesang. Da bleibt noch einiges zu tun in den nächsten neunzig Minuten. Ofir kennt das aus langjähriger Erfahrung und mischt seine Anweisungen mit liebevoll-großzügigen Komplimenten. Ab und zu gibt er selbst eine virtuose Einlage. Die Stimmung wird besser, die Atmosphäre intimer.

Jetzt kommt die Musik hinzu. Brasilianische Instrumente werden verteilt und ein einfaches Capoeira-Lied eingeübt: "Você no viu, vem a ver", bald können alle den Vers. Aus den fremdelnden Teilnehmern ist eine gut gestimmte Truppe geworden. Irgendwann stellt unser wunderbarer Lehrer die Abschlussübung vor: Im Kreis mit einem Partner das Gelernte zeigen.

Was an diesem Nachmittag im Tanzhaus geschieht, hat mit Physiotherapie nur wenig zu tun. Dort fühlt sich der Kranke ausgestellt, von den Gesunden isoliert. Hier erleben alle gemeinsam die Herausforderung des Capoeira-Tanzes. Für den Selbstversuch bleibt als Ergebnis: Durchschnitt mag schön sein, etwas mehr Körperbeherrschung wäre aber bestimmt besser. Also doch ein sehnsüchtiger Blick auf dem Rückweg in die Räume mit jungen, fitten Tänzern.

(RP)
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