Düsseldorf Carolin Emcke denkt über das Hassen nach

Düsseldorf · Bei den Literaturtagen las die Publizistin aus ihrem Essay "Gegen den Hass" - und geriet beim Stichwort Talkshows eloquent in Rage.

Sie beginnt bei der Wurzel. Bei dieser ungeheuren Selbstsicherheit, dieser kämpferischen Borniertheit von Menschen, die hassen. Denn wer andere herabwürdigt, beschimpft, sogar gewalttätig wird, der kann keine Zweifel haben. Der erlaubt sich nicht, die Welt mit anderen Augen zu betrachten und wenigstens für einen Moment in Betracht zu ziehen, dass auch andere Recht haben könnten mit ihrer Sicht auf die Wirklichkeit.

Darum aber geht es Carolin Emcke, der Kriegsreporterin und freien Publizistin, der Philosophin und Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels: um die Diskursfähigkeit in Deutschland, um eine Kultur der politischen Auseinandersetzung, die auf Erkenntnis zielt, nicht auf das Niedermachen Andersdenkender. Diese Kultur sieht sie akut bedroht - durch Abstumpfung, Enthemmung, mangelnde Wertschätzung der offenen Gesellschaft. Doch an diesen "Exibitionismus des Ressentiments", das offensive Polarisieren der Öffentlichkeit, will sie sich nicht gewöhnen. Darum hat sie ein Buch gegen den Hass geschrieben. Darum reist sie durch die Lande, um über die Wurzeln des Hasses zu sprechen.

Emcke ist in vielen Krisenregionen der Welt unterwegs gewesen, unter anderem in Afghanistan, dem Kosovo, Kolumbien. Sie hat erlebt, wie es ist, wenn aus der Unfähigkeit, das Denken und Handeln anderer gelten zu lassen, Verachtung wird. Und irgendwann Gewalt. Das hat ihr Sensorium geschärft.

Jedenfalls genügt es, dass der Leiter des Literaturbüros NRW, Michael Serrer, bei den Düsseldorfer Literaturtagen im Gespräch mit Emcke ein Reizwort fallen lässt: Talkshows. Da richtet Emcke sich auf, lächelt, bekennt sich als Borussia-Dortmund-Fan und verwandelt die Steilvorlage: Der Abend könne gar nicht lang genug sein, damit sie alles vorbringen könne, was gegen dieses Format einzuwenden sei, sagt sie. Und dann legte sie los mit beachtlichem Formulier-Furor und jener entschiedenen Haltung, die auch ihre Essays ausmacht. Für Emcke sind Talkshows "intellektuelle Selbstverstümmelung in großem Format" und "aktives Verhindern von Erkenntnis und Nachdenklichkeit" - gezielte Inszenierungen von Konflikten jedenfalls, die mit politischer Auseinandersetzung nichts zu tun hätten. Die Gefahr liege darin, dass Talkshows selbst vorgäben, politische Debatten darzustellen und so zur Polarisierung in der Gesellschaft beitrügen.

"Gehen Sie da nicht hin", sagt Emcke an die Politiker im Saal gewandt, die Serrer zuvor begrüßt hatte. Und dem Publikum empfiehlt sie, sonntags um 21.45 Uhr ein Buch zu lesen. Oder miteinander zu reden, jedenfalls nicht den Politkrawall im Fernsehen einzuschalten.

Emcke bekommt Applaus für solche Appelle. Sie spricht an diesem Abend im Gerhart-Hauptmann-Haus vor Ähnlichdenkenden, so scheint es. Fragen stellen dürfen die Zuhörer im ausverkauften Haus hinterher zwar nicht. Serrer verweist etwas dünn darauf, dass man ja beim Signieren noch mit der Autorin diskutieren könne. Aber es gibt keine Einwürfe. Dafür Kopfnicken, Zwischenapplaus. Emcke lächelt dann. Für Sekunden ist der Ernst aus ihrem Gesicht gewischt. Doch wenn sie dann wieder Passagen aus "Gegen den Hass" liest, ist ihre Stimme gepresst, legt sie Nachdruck in jedes Wort.

Sie ist keine, die cool tut, die Kritik vorträgt, als schwebe sie über den Dingen. Es geht ihr um das gesellschaftliche Miteinander, um die Freiheit, leben zu dürfen, wie man will. Was einschließt, auch andere leben zu lassen, wie sie wollen. "Wir müssen einander nicht mögen, wir müssen einander nicht mal verstehen", sagt Emcke, "aber wir müssen dafür eintreten, dass jeder seine Individualität leben darf."

Emcke spricht über Grundsätzliches an diesem Abend. Über Regeln des Miteinanders, die eigentlich unstrittig sind, die man für gesetzt halten könnte. Doch da hat sich etwas verändert in den vergangenen Monaten, vielleicht auch schon Jahren. Es ist der Ton in politischen Debatten, die neue Unverfrorenheit, mit der radikale Positionen in der Öffentlichkeit vertreten werden. Emcke nennt das "Extremismus der Mitte" und spricht darüber, wie rechtes Gedankengut, rechte Politik und ein gewaltbereites Milieu zueinandergefunden hätten. Wie das Internet dazu beigetragen habe, dass sich Propagandamaterial international verbreiten konnte. Und wie die Fluchtbewegungen in jüngster Zeit und die Silvester-Ereignisse in Köln zur Polarisierung der Positionen beigetragen hätten.

Neu ist das alles nicht, aber Emcke stellt Zusammenhänge her, und beschreibt Entwicklungen mit dem Vokabular der politischen Philosophie. Das hilft, nicht im Klein-klein der Einzelfälle stecken zu bleiben, sondern langfristige Tendenzen zu erkennen. Und so ist dieser Abend eben kein Schlagabtausch, keine inszenierte Rechthaberei, sondern Gelegenheit, Ansichten nachzuvollziehen. Und Erkenntnisse über die Gegenwart zu gewinnen.

Etwa, wenn Emcke Ungeduld als eine "Merkwürdigkeit unserer Zeit" benennt und deren Auswirkungen skizziert. Ungeduld verhindere nicht nur, einigermaßen gelassene Debatten über aktuelle Fragen zu führen. Sie sei auch Ursache für falsche Erwartungen an Politiker, die auftretende Probleme nicht schnell genug in den Griff bekämen. Ungeduld führe auch dazu, dass der Einzelne sich ohnmächtiger fühle, als er ist, nur weil auch er auf die Schnelle keine sichtbaren Veränderungen hinbekäme. Nötig sei eine neue Demut, ein Einsehen, dass politische Auseinandersetzungen langsam und manchmal schmerzvoll seien, mahnt Emcke.

Der Abend mit ihr war jedenfalls der Beweis, dass Reden über Politik auch ohne inszenierte Eklats beides sein kann, unterhaltsam und erhellend.

(dok)
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