Özgür Yildirim "Das deutsche Kinopublikum ist schwierig"

Düsseldorf · Der Regisseur Özgür Yildirim hat den Kinofilm "Boy 7" mit Schauspieler David Kross gedreht. Am Sonntag feiert er in Düsseldorf Premiere.

Er hat mit Moritz Bleibtreu und dem Rapper Sido Kinofilme gedreht. Nun hat sich Regisseur Özgür Yildirim das Jugendbuch "Boy 7" vorgenommen und mit dem Schauspieler David Kross ("Der Vorleser") verfilmt. Im Interview erzählt er, welche Grenzen die Zuschauer einem Filmemacher setzen.

In ihrem Film wacht die Hauptfigur auf und kann sich an nichts erinnern. Wann hatten Sie zuletzt einen Filmriss?

Özgür Yildirim Das war im vergangenen Jahr bei der Berlinale. Ich war mit einem befreundeten Produzenten unterwegs, und wir haben Jägermeister getrunken. Auf einer Party stieß Moritz Bleibtreu dazu. Ich kann mich nicht mehr ganz genau erinnern, wann und wie ich nach Hause gekommen bin. Am nächsten Morgen bin ich jedenfalls völlig verkatert aufgewacht.

"Boy 7" ist eine Romanadaption. Sie haben am Drehbuch mitgeschrieben. Wie schwer fällt es, sich von der Vorlage zu lösen?

yildirim Ich habe vorab den Roman und das Drehbuch der holländischen "Boy 7"-Verfilmung gelesen. In der holländischen Version wacht die Hauptfigur Sam in einem Bahnwaggon auf. Im Buch in der Wüste. Bei mir auf den Gleisen. Ich musste den Stoff erst einmal an die deutschen Gegebenheiten anpassen, weil es hier nun mal keine Wüste gibt. Natürlich wird es Fans geben, die die Veränderungen nicht verstehen können. Wenn man ein literarisches Werk visualisiert, muss man sich diese Freiheiten aber nehmen.

Was hat Sie an dem Stoff interessiert?

yildirim Obwohl der Roman dystopisch angelegt ist, hat er viele Bezüge zu unserer Realität. Im Film gibt es ein Institut, das Menschen instrumentalisiert. Das Thema Manipulation ist auch bei uns allgegenwärtig.

Warum lassen Sie "Boy 7" nicht in der Zukunft spielen, wie das das sonst bei Filmen mit düsteren Visionen ist?

yildirim Weil man für Science-Fiction ein großes Budget braucht. In Deutschland hat niemand Geld, um "Blade Runner" zu drehen. Für "Boy 7" haben wir mit 3,5 Millionen Euro kalkuliert und nur zwei Millionen Euro bekommen. Zwischenzeitlich mussten wir wirklich kämpfen, damit das Projekt nicht noch scheitert. Gerade das jüngere Publikum kann sich außerdem eher mit einer Filmwelt identifizieren, die der da draußen entspricht. Ich glaube auch, dass der deutsche Zuschauer Filme aus Deutschland, die größer sind als die Wirklichkeit, noch nicht akzeptiert. Es muss immer einen Realitätsbezug geben. Hätte ich einen Film mit David Kross gedreht, der "bigger than life" ist, hätten die ersten 15 Kinoreihen gelacht. Das funktioniert hier leider noch nicht.

David Kross spielt in "Boy 7" die Hauptrolle. Ist er noch frei von Allüren?

yildirim Er ist gerade mal Mitte 20, aber sehr professionell und angenehm im Umgang. So wie er sind nicht viele Kollegen seines Alters.

Die Sprache scheint in ihrem Film sehr nah an dem, wie Jugendliche heute sprechen. Haben Sie die Jungschauspieler einfach machen lassen?

yildirim Ich habe schon versucht, das Drehbuch so zu schreiben. Ich vertraue meinen Schauspielern aber auch sehr. Die Dialoge sind immer nur inhaltlich vorgegeben, am Set machen wir das Buch zu, und die Schauspieler nehmen sich ihre Freiheiten. Es wäre katastrophal gewesen, ihnen etwas in den Mund zu legen.

Ihre Eltern stammen aus der Türkei, in Ihren letzten Filmen standen Kinder aus Einwandererfamilien im Mittelpunkt. Warum haben Sie dieses Thema nicht weiterverfolgt?

yildirim Ich möchte mich ungern als Filmemacher kategorisieren lassen. Es hängt immer davon ab, was mir der Stoff gibt. "Boy 7" hat auch sozialkritische Aspekte, aber ich habe nicht den Anspruch, immer sozialkritische Filme zu machen. "Boy 7" ist ein Thriller, und ein Thriller hat die einzige Aufgabe, das Publikum zu thrillen und Spannung zu erzeugen.

Sie haben nun einen Gangsterfilm, eine Komödie und einen dystopischen Thriller gedreht. Was kommt als nächstes? Ein Horrorfilm?

yildirim Ich liebe Horrorfilme und hatte tatsächlich auch schon einen solchen Stoff in der Hand. Horror ist aber das Letzte, was in Deutschland gefördert wird. Es müsste also ein Stoff sein, der wirklich passt, für den es sich zu kämpfen lohnt. Als nächstes kommt von mir ein "Tatort" mit Wotan Wilke Möhring, der im Frühjahr 2016 ausgestrahlt wird.

Was hat in Deutschland einen höheren Stellenwert: Wenn ein Filmemacher einen Kinofilm dreht oder den "Tatort" am Sonntag?

yildirim Das kommt auf den Film an. Es gibt "Tatorte", die zehn Millionen Zuschauer haben und absolut beschissen sind und Kinofilme mit 100 000 Zuschauern, die Gold wert sind. Ich würde keinen Sonntagskrimi abliefern wollen, nur weil er zehn Millionen Zuschauer bringt. Da ist mir der gute Kinofilm für wenige Zuschauer lieber.

KLAS LIBUDA FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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