Düsseldorf Das schöne Auge des Betrachters

Düsseldorf · Das neue Stück der Bürgerbühne wagt sich auf das Schlachtfeld der Selbstwahrnehmung. "Maßlos schön" hat am Freitag Premiere.

"Die meisten hässlichen Frauen sind links", behauptet Joe Michaels auf offener Bühne. Als er Widerspruch erntet, sagt er: "Ich habe generell etwas gegen linke Tanten." Hinter ihm steht die rothaarige Viktoria Gershevskaya. Sie zupft an ihrem Tüllrock und wispert in einem fort, untermalt von passender Gestik und Mimik: "Das ist schön, das ist hässlich, das ist schön, das ist hässlich." Sie stamme aus St. Petersburg, erzählt sie dann dem Publikum, habe Ballett getanzt und sich dabei immer eine Kriegsbemalung aufgelegt. In Deutschland, Ende der 80er Jahre, war sie enttäuscht, weil die Frauen sich kaum schminkten. Heute, nach Schilddrüsenerkrankung und Gewichtszunahme, hat sich ihre Einstellung geändert: "Jetzt hab ich mich lieb. Ich hab mich echt lieb." Dann hat Ulrike Boldt ihren Auftritt. Zornig wettert sie gegen die irritierende Manipulation von Fotos, weil jeder einer Illusion von makelloser Schönheit nachjagen will. "Was seid ihr für Vorbilder für meine Töchter?", kreischt sie. "Wieso soll Natürlichkeit ein Makel sein?"

Drei Momentaufnahmen aus einem Probenbesuch von "Maßlos schön". Am Freitag wird das neue Projekt der Bürgerbühne des Schauspielhauses uraufgeführt. Zunächst sollte der Abend provokativer "Schlachtfelder der Schönheit" heißen und operative Eingriffe thematisieren. "Bei näherer Betrachtung stellten wir fest, dass dabei weit mehr Aspekte mitschwingen als nur Schönheits-OPs", sagt Regisseurin Suna Gürler. "Sie sind lediglich ein Symptom für das ganze Spektrum von Selbstwahrnehmung, Körperlichkeit und Marktwert."

Die Bürgerbühne ist zunächst einmal Ideenschmiede. Das jeweilige Ensemble aus Laien oder Menschen, die schon etwas Bühnenerfahrung haben, wird nach einem Casting zusammengestellt. Im Probenprozess geben die Protagonisten ihre persönlichen Ansichten und oftmals sehr intimen Erlebnisse zu einem bestimmten Themenkreis preis. Daraus entwickeln Profis das Stück und gießen es in eine szenische Form. Für "Maßlos schön" erarbeiteten Suna Gürler und ihr Regieassistent Frederik Tidén aus einer Fülle von Material und Aufzeichnungen den finalen Text - eine Collage mit einem roten Faden.

Neun Darsteller wagen sich auf die Bühne, die jüngste ist zehn - Ulrikes Tochter Lia. Der älteste 67: Joe, studierter Sozialpädagoge, flog drei Jahrzehnte als Purser um die Welt. Zwei Mitmachprojekte pickte er aus Lust und Neugier aus dem reichhaltigen Angebot des Theaters. Er wirkt bei "Grenzgänger" mit (Premiere am 26. Mai) und rutschte zunächst nur als Ersatzmann in das "Schönheits"-Stück. "Je mehr ich in die Problematik eintauchte, desto faszinierter war ich." Die gesellschaftspolitische Aussage werde klar, aber ganz ohne Holzhammer: "Man hält den Leuten und sich selber einen Spiegel vor." Tim Sassen hat früher schon Theater gespielt und zögerte, es nach längerer Pause wieder zu probieren. Bis der Student der sozialen Arbeit von der Bürgerbühne erfuhr und mit Begeisterung dabei ist: "Eine spannende Erfahrung, weil sehr intensiv in professionellem Rahmen geprobt wird." Ulrike Boldt ist ausgebildete Schauspielerin, führt eine Künstleragentur und wollte ebenfalls mal wieder Bühnenluft schnuppern. "Mich hat unsere Regisseurin dazu ermuntert, eine Hasstirade gegen den Schönheitswahn zu formulieren", erzählt sie. In den Texten fließen persönliches Erleben und Fiktion ineinander. "Manches ist überspitzt, es bleibt ja ein Stück", sagt Tamara Hoppe. Sie hat die Schule beendet, jobbt als Regieassistentin und will sich bei Schauspielschulen bewerben. Viktoria Gershevskaya stammt zwar aus Russland, war aber nie beim Ballett, sondern verdiente ihr Geld als Hotelfachfrau. Jetzt möchte sie am liebsten "etwas Künstlerisches" probieren. Die Inspiration holt sie sich bei der Bürgerbühne.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort