Düsseldorf Deutsche Verse aus Aleppo

Düsseldorf · Im "Zakk" liest der Syrer Hamza Haj Mustafa deutsche Gedichte aus eigener Feder.

Düsseldorf: Deutsche Verse aus Aleppo
Foto: Christof Wolff

Nicht immer geht es im "Zakk" beim Poetry Slam um Punktegewinn. Bei der letzten Veranstaltung trat ein besonderer Gast auf die Bühne. "Ich möchte, dass ihr völlig ausrastet für meinen Freund Hamza", forderte sein Vorredner das Publikum auf. Jean Philippe Kindler, Abiturient und schon länger ein begeisterter Poetry-Slammer, war ein Glücksfall für den jungen Syrer Hamza Haj Mustafa. Kindlers Mutter leitet das Flüchtlingsheim, in dem Mustafa mit anderen Syrern und Afghanen untergebracht ist. Als die Kindlers erfuhren, dass Mustafa sich mit poetischen Texten auskannte, brachten sie ihn in Kontakt mit dem Kulturzentrum auf der Fichtenstraße. Dort begann er ein Praktikum, und auf seinen Wunsch hin ließ man ihn gern auf die Slambühne. Mit Texten auf Deutsch, versteht sich. Einer Sprache, die Mustafa in kurzer Zeit bemerkenswert gut erlernt hat.

Der 18-Jährige stammt aus Aleppo. Die Wirren des syrischen Bürgerkriegs hatten auch seine Familie bereits früh zerrissen. Mustafas Vater, der früher in einem Krankenhaus als Apotheker arbeitete, hilft jetzt im syrisch-türkischen Grenzgebiet aus. Ein älterer Bruder und seine Frau flüchteten in die Türkei, wo sie in Istanbul Arbeit fanden. Zusammen mit seiner Schwester, einem weiteren Bruder und der Mutter, zog Mustafa aus Aleppo Ende 2014 in ein nahegelegenes Dorf, aus dem die Familie ursprünglich stammt.

Es folgten Monate, die den lernbegierigen Jungen zur Verzweiflung brachten: "Nur Wasser, Essen, Rauchen und Filme gucken, das war nicht zum Aushalten", erinnert er sich. Als sie hörte, dass sich ein gleichaltriger Freund auf den Weg nach Europa machte, fasste Mustafas Familie einen bedeutsamen Entschluss: Sein Bruder, der gerade genügend Geld für seine Hochzeit angespart hatte, gab ihm die nicht unbeträchtliche Summe für die Reise ins Ungewisse. Auf den bekannten Wegen über die Türkei, Griechenland und den Balkan gelangte er schließlich nach Düsseldorf.

Warum Deutschland? "Wegen Nietzsche und Bayern München", lautet Mustafas Antwort. Außerdem hatte man von denen, die bereits vor ihm in unser Land geflüchtet waren, fast nur Positives gehört. "Ich wollte endlich wieder lernen können, auch wenn das hieß, zunächst eine neue Sprache zu lernen", sagt der junge Mann im Gespräch vor seinem Slam-Auftritt. Über seine Erinnerungen an die gefahrvolle Reise schweigt er zunächst. In Deutschland angekommen, unterschied sich Mustafas Leben in den ersten Monaten kaum von Syrien. "Bis der Formularkrieg überwunden war, hieß es auch im Wohnheim monatelang nur Wasser, Essen, Rauchen und Filme gucken." Im Februar vergangenen Jahres konnte er an einem Sprachkurs teilnehmen. Und er beschloss, im Kontakt mit Deutschen so früh wie möglich das Englische durch Deutsch zu ersetzen. Das Ergebnis nach zehn Monaten kann sich hören lassen, und so wurde er jetzt als Schüler in die Oberstufe des Humboldt-Gymnasiums aufgenommen. Endlich wieder lernen!

Bereits in Syrien war Mustafa mit eigenen Gedichten öffentlich aufgetreten. "Auch dort spricht man von 'Poesieschlacht', aber es ist kein Wettbewerb. Man stellt sich allein seinem Publikum und hofft auf dessen Gunst". Im "Zakk" hatte sein Freund Jean Philippe das Publikum mit einer humorvollen Liebeserklärung an seine anwesende Mutter begeistert. Bei Mustafas Auftritt wurde es dann ganz still im Saal. Nun ging es doch um die Fährnisse einer Reise des sehr jungen, auf sich gestellten Kriegsflüchtlings in ein neues Leben. "Ich komme vom Land. Das Meer ist unsere Zuflucht, auch wenn wir ertrinken. Im Meer ertrinken ist besser als in den Trümmern zu versinken." Es folgen Sätze über kaputte Träume und eine innere Zerrissenheit: "Ich bin dort, ich bin hier".

Und der Dichterphilosoph Friedrich Nietzsche? Der junge Syrer hat den "Zarathustra" mit Hingabe auf Arabisch gelesen, das Werk ist sein poetisches Vorbild. Für Nietzsche schwärmte in früher Jugendzeit auch Martin Walser, einer der wichtigsten Intellektuellen unseres Landes. Somit ergibt sich noch ein beachtliches Potenzial für Hamza Haj Mustafa.

(RP)
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