Düsseldorf Die Frau in Orange-Pink

Düsseldorf · Bis 11. Mai sind die Kunstwerke von Martin Streit in der Deutschen Bundesbank ausgestellt.

 1,40 mal zwei Meter misst der verschwommene Pigmentdruck der Frau aus New York, die in die Ausstellung von Martin Streit führt.

1,40 mal zwei Meter misst der verschwommene Pigmentdruck der Frau aus New York, die in die Ausstellung von Martin Streit führt.

Foto: Anette Schmitz

Hätte die Frau mit der orangefarbenen Handtasche und dem passenden Kleid gewusst, dass Martin Streit sie fotografiert, hätte sie vielleicht mit ihren Fingern noch einmal die Haare aufgelockert und ihr Outfit zurechtgezupft. Vielleicht wäre sie die Treppen des Metropolitan-Museums in New York ein bisschen aufrechter hinuntergegangen. Vielleicht hätte sie sich sogar für den Künstler umgedreht und posiert. Genau das wollte Martin Streit nicht. Kein perfektes Model mit der perfekten Frisur und dem perfekten Lachen. Martin Streit hat die Frau heimlich aufgenommen. Weil ihre Bewegungen in exakt jenem Augenblick einfach stimmten, die leuchtenden Farben mit dem Licht harmonierten.

Die Frau, die bei Streit nur Orange-Pink heißt, weiß bis heute nicht, dass sie die Ausstellung "Lichtgestalten" in der Deutschen Bundesbank an der Berliner Allee sozusagen eröffnet. Und vermutlich würde sie sich selbst auch nicht erkennen, weil Streits liebstes Stilmittel die Unschärfe ist. In manchen Bildern verschwimmen die Konturen so sehr, als hätte man morgens vergessen, die Kontaktlinsen einzusetzen.

Einmal im Jahr, immer zwischen Ostern und Pfingsten, wird der Konferenzraum in der achten Etage der Bundesbank-Hauptverwaltung in NRW zum Ausstellungsraum. Die besondere Herausforderung: "Der Raum hat eigentlich keine Wände", sagt Kurator Wulf Aschenborn. Umso dankbarer war er, dass der Künstler selbst ein Konzept entwarf, wie die Stellwände positioniert werden sollen. Gleichzeitig war Aschenborn überrascht. Denn die Ausstellung ist auf den ersten Blick alles andere als offen und einladend - so wie er es gewohnt ist -, weil der Blick in den Raum von einer Stellwand gleich am Eingang versperrt wird. An jener Wand hängt das Bild von der Frau in orange-pink, die den Betrachter dazu auffordert, ihr in den Raum zu folgen. Das war Martin Streits Absicht, ohne große Erklärungen drumherum. "Ich mag die Klarheit", sagt der Künstler. Deswegen sind die Bilder auch so angeordnet, dass die Großformate in den zwei durch die Stellwände geschaffenen Innenräumen hängen, die Kleinformate mit Klett an den Außenwänden befestigt sind. Streit versucht jegliche Ablenkung zu vermeiden. Sogar die größte aller Ablenkungen im achten Stock der Bundesbank nutzt der gebürtige Koblenzer für sich: Die Aussicht hat er gleich in sein Konzept mit eingebaut. "Die Leute sollen ruhig am Fenster stehen und rausschauen", sagt er. Und wer Lust hat, kann das durch eine extra von Streit für die Ausstellung gebaute Camera obscura (zu deutsch dunkle Kammer) tun - die Urform der fotografischen Kamera, mit der Martin Streit hauptsächlich arbeitet. Wer lang genug in den schwarzen Kasten guckt, der erkennt irgendwann die Johanneskirche.

Eine ungewöhnliche Methode, Fotos zu produzieren. Doch Streit ist fasziniert von dieser Technik, schon seit er vor fast 15 Jahren mit seinem Sohn aus Jux eine solche Kamera bastelte. Das Prinzip ist einfach: Eine Camera obscura besteht aus einem komplett abgedunkelten Kasten, in den durch ein schmales Loch das Licht einer beleuchteten Szene auf die gegenüberliegende Rückwand trifft. Das Bild wird projiziert, eine eingebaute Digitalkamera nimmt die Szene auf. 2010 funktionierte Streit sogar einen ganzen Raum in eine begehbare Camera obscura um: "Den 48 Meter langen Tunnel des Field Instituts der Raketenstation Hombroich", erzählt er. Vor zwei Jahren stand Streits bisher größtes Projekt vor dem Kölner Dom. Die Installation "Lichtkammer" wurde von 25.000 Menschen besucht,

Für den ausgebildeten Glaser ist die Methode, die er zufällig für sich entdeckte, eine tolle Verbindung zwischen der Malerei und der Fotografie. Das Zusammenspiel von Licht, Farbe und Architektur in der Glasmalerei reizte ihn so sehr, dass sie Basis für seinen Wunsch wurde, sich auch als Maler ausbilden zu lassen. Er studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie in Gottfried Graubners Klasse. In seiner Kunst bildet Streit Stillleben, Architektur und Figuren ab, neuerdings auch Landschaften wie den "Julierpass" und den "Bernina-Pass" in der Schweiz. Außerdem sind in "Lichtgestalten" Malereien und übermalte Fotografien zu sehen, die etwas Geheimnisvolles und gleichzeitig Beruhigendes ausstrahlen. Weil der Künstler auf jeglichen Schnickschnack verzichtet. Und obwohl Martin Streit schon seit 1989 seine Bilder der Öffentlichkeit zeigt, ist er immer noch nervös, so als wäre "Lichtgestalten" seine erste Ausstellung. "Allein der Raum macht die Ausstellung so besonders", sagt er.

(RP)
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