Düsseldorf Die ganze Welt in einem Buch

Düsseldorf · Guntram Vesper las im Heine Haus aus seinem autobiographischen Roman "Frohburg".

Wenn man nur von den geschriebenen Seiten ausgeht, ist "Frohburg" von Guntram Vesper ein gewichtiges Werk. Auch die Verleihung des Leipziger Buchpreises für Belletristik verleiht Größe. Und dass der Autor sich mehrere Jahre und 1000 Seiten Zeit gelassen hat, macht das Buch zu einem Meilenstein im Bücherregal. Aber vor allem ist es das, was zwischen den Seiten steht, was die Größe ausmacht. Es geht um die titelgebende Kleinstadt zwischen Leipzig und Chemnitz, ein Ort, der den meisten eher unbekannt ist. Vesper verwebt Biografisches, Geschichten, Erlebtes und schafft damit dem Ort und der Zeit ein Denkmal deutsch-deutscher Geschichte.

In gewisser Weise ähnelt die Vorgehensweise der Arbeit von James Joyce, der Dublin mit "Ulysses" zu einem Mythos machte, in dem sich das Persönliche mit dem Legendenhaften vermischt. Bei Vesper ist das weniger spektakulär, aber wenn man sich auf das Werk einlässt, wird man mit Entdeckungen reichlich belohnt. Im Gespräch mit RP-Kulturchef Lothar Schröder verriet Vesper vieles von dem, was ihn als Literat umtreibt. Da erzählt er von der ersten Schallplatte, die er kaufte und die er auf einem Koffer-Plattenspieler der Firma Quelle abspielte. Viele Jahre später sollte er nach dem Tod des Bruders eben jenen Plattenspieler in den Hinterlassenschaften finden. Die Schallplatte? Eine Aufnahme des Schauspielers Will Quadflieg, die ihn als jungen Menschen sehr beeindruckte. Einer der zahlreichreichen Zuhörer meinte nach dem Abend beim Hinausgehen: "Er schreibt über Dinge, die wir alle erzählen könnten. Aber wir tun es nicht." Das ist richtig und doch nur ein Teil des Geheimnisses. Es ist der Blick des Erzählers, der fasziniert, zwischen den Orten finden sich immer wieder Ereignisse der Geschichte. Manche davon lassen den Atem stocken, wie etwa eine Konfrontation mit Rotarmisten, die scheinbar glimpflich ausgeht. Bis sie schließlich in einer Hinrichtung endet. Auch die Geschichte des Pärchens, das einen Polizisten niederschießt, ist so ein Zwischenfall, wie ihn nur eine bestimmte politische Situation erzeugen kann.

Aber es gibt auf all den Seiten auch Zeit für Slapstick. So wird auf hinreißende Weise die erste Autofahrt des örtlichen Arztes beschrieben. Das wäre so eine Geschichte, wie sie viele kennen, aber Vesper flicht noch eine entscheidende Schleife hinzu. Wie der steckengebliebene Wagen nie geborgen wurde und das Wrack Generationen von Kindern zum "Autofahren" diente, Mosaiksteine wie diese machen das Buch zu einer wahren Fundgrube für den, der bereit ist, verborgene Schätze zu heben. Eines noch erfuhr man im Gespräch: dass der auch als Lyriker tätige Guntram Vesper vor vielen Jahren einige Gedichte in der Rheinischen Post veröffentlichte. Noch eine von diesen autobiographischen Geschichten.

(RP)
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