Düsseldorf "Die Menschen hängen am Leben"

Düsseldorf · CDU-Politiker Wolfgang Bosbach sprach bei einer Diskussion über Sterbehilfe.

Die Diskussionsrunde "Leiden, Sterbehilfe und das christliche Menschenbild" in der Johanneskirche griff das Thema Fremd- oder Selbstbestimmung am Ende des Lebens auf. Teilnehmer waren der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, der niederländische Theologe und Medizin-Ethiker Thilo Boer, Nikolaus Schneider, bis 2013 Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, sowie Birgit Kleekamp, Leiterin zweier Pflegeeinrichtungen in Düsseldorf. Christina-Maria Purkert moderierte die Veranstaltung, zu der die regionale Arbeitsgruppe Düsseldorf des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer, die Evangelische Akademie Rheinland, der Bund Katholischer Unternehmer und die Graf-Recke-Stiftung eingeladen hatten.

"Kaum eine Problematik erschüttert uns so bis ins Mark wie das Thema Sterbehilfe", sagte der Jurist Holger Linderhaus in seinem Eingangsreferat. "Auf viele Fragen bekommt man keine befriedigenden Antworten. Sterben ist ein individueller Prozess und absolut verallgemeinerungsfeindlich." In den Niederlanden, Belgien oder der Schweiz mit ihrer "Freitodbegleitungsindustrie" sei Sterbehilfe legal. In Deutschland nicht, "obwohl es der gleiche Kulturkreis mit den gleichen Werten ist".

Der Umgang damit wurde bei uns vor einem Jahr per Gesetz neu geregelt. Wolfgang Bosbach, der mit seiner unheilbaren Krebskrankheit offen umgeht, war an den vier emotional geführten Debatten beteiligt. "Geschäftsmäßige Sterbehilfe" bleibe in Deutschland verboten, sagte er, wohl aber dürfe und müsse man eingreifen, um unerträgliche Schmerzen zu lindern.

Theo Boer schilderte die Situation in den Niederlanden: "Mir ging das nach der Legalisierung viel zu schnell. Ich habe in zehn Jahren 4000 Dossiers durchgearbeitet und bemerkt, dass die Hemmschwelle sinkt. Erst gab es pro Jahr 1800 Fälle mit aktiver Sterbehilfe, heute sind es 5500."

Birgit Kleekamp berichtete, in 17 Jahren Altenpflege sei ihr dieses Ansinnen nie zu Ohren gekommen: "Die Menschen hängen am Leben, bis zuletzt. Wir versuchen Einsamkeit, Schmerzen und Übelkeit zu lindern, mit allem, was die Medizin zu bieten hat."

Um jede Option auszuloten, sollten sich Patienten, Angehörige, Bezugspersonen, Ärzte und Pflegepersonal an einen Tisch setzen. Vorsorgevollmachten seien sinnvoll, sagte sie, gab aber zu bedenken: "Mir fiele eine Verfügung schwer, weil ich nicht weiß, was ich wann aushalten könnte."

Nikolaus Schneiders klare Position: "Töten als Dienstleistung darf nicht die Lösung sein." Er könne jedoch verstehen, wenn jemand diesen Weg gehen wolle: "Wir müssen palliative Einrichtungen und Hospize unterstützen und diese Menschen begleiten. Kein Todgeweihter sollte gegen seinen Willen gezwungen werden, weiterzuleben."

Er selber würde sich im Konflikt zwischen Gesetzestreue und Liebe für die Liebe entscheiden und seiner Frau zu einem sanften Tod verhelfen: "Aber niemals könnte ich dabei selber Hand anlegen."

Info In dem Buch "Jetzt erst recht!" erzählt Anna von Bayern die Lebensgeschichte von Wolfgang Bosbach, und wie der Politiker mit dem Krebs lebt (Heyne Verlag, 224 S., 19,99 Euro)

(RP)
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