Düsseldorf Die Vorleser des Schauspielhauses

Düsseldorf · Viele Mitglieder des Ensembles sind auch gefragte Hörbuch- und Hörspiel-Sprecher. Über die Kunst, allein mit der Stimme zu spielen.

Sie ist schwanger, ihr Körper ist unförmig und schwer, trotzdem wartet Lena eines Tages auf das alte Fuhrwerk, macht sich auf den mühsamen Weg quer durch Alabama, um ihren Freund zu suchen. Der weiß noch nicht, dass er Vater wird - oder ist er genau deswegen verschwunden? Lena jedenfalls nimmt alles, wie es kommt; so hat sie es bisher gehalten, so soll es weiter geschehen. Und so spricht Yohanna Schwertfeger diese Lena aus William Faulkners Roman "Licht im August" mit stoischem Ausdruck, erschöpft, aber nicht kraftlos, etwas Tieftrauriges scheint auf dem Grund ihrer Seele zu ruhen und zugleich ist da eine Neugier auf das, was ihr unterwegs begegnen wird.

Eine Figur allein durch die Stimme lebendig werden zu lassen, das verlangt Yohanna Schwertfeger vor allem eins ab: enorme Konzentration. "Man muss alles mitdenken, sich die Szenen, Atmosphären, den Charakter seiner Figur selbst ausmalen und all das dann in die Stimme legen", sagt die Schauspielerin, die mit Wilfried Schulz aus Dresden ans Düsseldorfer Schauspielhaus gekommen ist und bald in Camus' "Caligula" auf der Bühne stehen wird. Nach der Schauspielschule in Wien war sie in Zürich und am Burgtheater engagiert, und schon damals hat sie auch als Sprecherin gearbeitet. Sprecherziehung ist Teil der Schauspielausbildung, das handwerkliche Können hat sie am Wiener Reinhardt-Seminar gelernt. Und als sie die Gelegenheit bekam, auch in Hörspielproduktionen mitzuarbeiten, merkte sie bald, dass das Spiel mit der Stimme, dem Spiel auf der Bühne sehr ähnlich ist. "Man arbeitet im Ensemble, spricht über den Text, versucht die Figuren zu verstehen, sich in ihre Gedankenwelt zu versetzen, und wenn das Mikrofon angeht, versucht man all das abzurufen", sagt Schwertfeger. Wie auf der Bühne sei auch beim Hörspiel die Zusammenarbeit mit dem Regisseur sehr wichtig. Bei "Licht im August" war das der erfahrene Walter Adler. "Der Regisseur hilft einem, sich die Situationen wirklich plastisch vorzustellen", sagt Schwertfeger, "gute Regisseure hören jeden Gedanken, den man beim Sprechen hat." Adler habe ihr in Erinnerung gerufen, dass ihre Figur als schwangere Frau anders atmet, weil sie ein anderes Gewicht hat. "Man versetzt sich immer tiefer da hinein, bis man denselben Geschmack im Mund hat wie die Figur", sagt Schwertfeger.

Auch Torben Kessler hat von Beginn seiner Schauspielerkarriere an als Sprecher gearbeitet - vor allem in Hörbuch-Produktionen. Das ergab sich zufällig während seines Engagements in Leipzig, inzwischen hat er Bestseller wie "The Circle" oder "Ein wenig Leben" eingesprochen und ist eine gefragte Stimme. Auch Kessler hat die Kunst, plastisch zu sprechen, während der Ausbildung gelernt. Er hat an der Essener Folkwang-Hochschule studiert. Doch findet er, dass es beim Hörbuch darauf ankommt, einen Ton zu finden, der zum Text passt und sich nicht in den Vordergrund drängt. Außerdem muss dieser Ton über eine lange Strecke tragen. "Wenn man ein Buch liest, darf man nicht zu viel in die Stimme hineinlegen", sagt Kessler, "es soll ja um die Geschichte gehen." Allerdings müssten Figuren sich natürlich voneinander abheben, so viel "Schauspielerei" vor dem Mikrofon muss dann doch sein. Um das rechte Maß zu treffen, hat ihm sein Sprecherzieher einst einen Satz mitgegeben, an den Kessler noch heute denkt: "Man muss die Dinge benennen", lautete der. Kessler zeigt auf den Tisch, spricht das Wort lapidar aus, dann übertrieben betont, zuletzt mit einer wohl abgewogenen Bestimmtheit. "Das meine ich", sagt er und lächelt, "man darf die Worte nicht überbetonen, nicht einfach dahinsagen, man muss sie konkret vor Augen haben, damit sie auch im Hörer eine Vorstellung erzeugen."

Hörbücher einzusprechen, unterscheidet sich stärker vom Spiel auf der Bühne als die Hörspielarbeit. Vorleser sitzen allein im Studio, müssen oft sechs, sieben Stunden am Stück die Konzentration halten und dürfen den großen Bogen nicht aus dem Blick verlieren, damit das Buch am Ende wie aus einem Guss gelesen erscheint. Um das zu schaffen, bereitet sich Kessler akribisch auf die Studiotage vor, hat einen Roman drei Mal gelesen, erst ganz unbefangen, dann mit Farbstiften in der Hand, um die wechselnden Figuren zu markieren, ehe er ins Studio geht. Dann ist das Lesen für ihn bei aller Anstrengung ein Vergnügen: "Der Text schenkt einem alles, er lässt alle Bilder im Kopf entstehen, das ist ja das große Wunder des Lesen - und des Vorlesens auch."

(dok)
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