Düsseldorf Diktatur der Schweine

Düsseldorf · Wie aus einer kollektiven Landwirtschaft ein schmutziges Geschäft wird: Das Schauspielhaus zeigt George Orwells "Farm der Tiere".

Kaum ist der Bauer vom Hof gejagt, da fliegt schon das Gemüse im hohen Bogen kreuz und quer aufs Feld. Plötzlich riecht es nach Schnittlauch, Radieschen und Erde im Theatersaal und der Dreck spritzt bis an die ersten Reihen, als die Schweine sich munter im Schlamm suhlen. Sie sind jetzt kein potenzielles Billigfleisch mehr für den Discounter, sondern einfach Tiere, die sich benehmen dürfen wie Sau. Mit solidarischer Landwirtschaft haben sie zwar keine Erfahrung, aber abends kuscheln sie sich glücklich erschöpft aneinander, Hahn und Hund zupfen noch ein Gutenachtlied auf der Gitarre, dann schlafen alle ein. Angst und Eifersucht sind ja verschwunden, seit jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten darf. Eine Utopie ist real existierender Versuch geworden auf der Farm der Tiere.

Tropisches Klima herrscht im Central, das als Ausweichspielstätte nicht über eine Klimaanlage verfügt, als Darsteller aus dem Ensemble des Schauspielhauses und des Jungen Schauspiels sich auf das Feld gelebter Utopien wagen. Am Eingang hatte es Gratiswasser gegeben und Intendant Wilfried Schulz bat um Verständnis für die anstrengenden Bedingungen in einem Theater, das ja nur auf Zeit Spielstätte bleiben solle. Doch trotz akuter Stickigkeit sollte sich bald alle Konzentration auf den quadratischen Acker richten, den Regisseurin Daniela Löffner in der Mitte des großen Saals hat anlegen lassen. Wie in einer Arena schauen die Zuschauer von allen Seiten zu, wie die Tiere erst eine Revolution anzetteln, sich dann eine Verfassung geben und ihre Gebote mit Milch auf den Boden schreiben. "Alle Tiere sind gleich" oder: "Kein Tier darf ein anderes töten". Doch bald tritt das Animalische im Tier zu Tage. Ein paar Farmbewohner wollen mehr aus dem kollektiven Futtertrog ergattern und kehren das Schwein in sich hervor. Und dann läuft alles wie im Planspiel: Ein Mastferkel wird zum Diktator, die anderen schweigen, weil sie dumm sind oder verblendet, verliebt, verbraucht. Und bald fliegt kein Gemüse mehr, die schöne Anarchie ist dahin. Stattdessen: Intrigen, Drohungen, Wachhundstaat.

Am Ende watet ein Unternehmensberater durch den Schlamassel auf der Bühne, verdonnert Kuh und Schaf zur Selbstoptimierung und vermarktet das Kollektiv. Die Revolution hat ihre Mast gefressen, die solidarische Landwirtschaft wurde ein schmutziges Geschäft - und die Tiere sind völlig auf den Mensch gekommen.

Mit großer Spielfreude betreiben die Darsteller in dieser Inszenierung ihre Tierwerdung: Jonathan Gyles etwa, der mit wenigen ruckartigen Kopfbewegungen das Huhn markiert, Kilian Land, der mit Cheerleader-Pompons die eitle Schimmelstute gibt, oder Karin Pfammatter, die sich mit Latzhose dauerschmauchend in einen revolutionsmüden Esel verwandelt. Daniela Löffner inszeniert George Orwells hellsichtige Fabel als körperbetontes Sinnentheater, in dem sich Tiere benehmen dürfen wie die Tiere - richtige Schweine werden sie erst, als sie plötzlich Anzug tragen. So zielt sie nicht mehr mit Orwell auf den Stalinismus, sondern auf moderne Ausbeutung und die permanente Bedrohung der Freiheit durch Autokraten und gewählte Präsidenten, die ihr Land selbstherrlich lenken wie ein Unternehmen.

Das alles wird mit wenigen Requisiten, fantasievollen Bildern und großer schauspielerischer Energie in Szene gesetzt. Obwohl die Inszenierung vor allem gegen Ende durchaus hätte gestrafft werden können, gelingt es Löffner selbst im überhitzten Raum, knapp drei Stunden für ihren Stoff zu fesseln. Ihr Theater ist wüst und lebendig und dreckig und direkt.

Allerdings setzt Löffner auf bekannte Mittel, um mit Elementen wie Erde, Wasser, Blut eine Fabel als puristisches Lehrstück auf die Bühne zu bringen. Tiere im Dreck kämpfen zu lassen, bis aus Schweinen Manager werden und aus einem solidarischen Experiment eine billige Show, ist nicht mehr originell. Dafür gehen die Bilder auf, entwickelt sich das Spiel organisch Szene aus Szene und gibt so den Blick frei auf destruktive Mechanismen, die zeitlos am Werk zu sein scheinen. Eitelkeit, Konkurrenzkampf, pure Machtlust treffen in diesem Stück auf Gutgläubigkeit, Bequemlichkeit, die Sehnsucht nach ein bisschen richtigem Leben im Falschen. Und schon sind aus Hofhunden Kampfhunde geworden, der Rabe spitzelt aus der Luft und das von Jan Maak wunderbar stupide gespielte Zugpferd ist zu Tode erschöpft und wird zum Abdecker in den Bühnenhimmel gezogen.

Später wird es von dort Goldkonfetti regnen wie bei den Wahlkampfparties in den USA. Das diktatorische Mastferkel ist am Ziel seiner Träume: Es wohnt jetzt im Farmhaus. Die Bewohner der Farm haben es geschehen lassen. Kaum wissen sie, wie. George Orwell hat früh durchschaut, was seine Zeit ins Unheil trieb. Er schrieb sein Werk 1945. Als Parabel bleibt es aktuell.

(dok)
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