Düsseldorf Düstere Zukunftsvision

Düsseldorf · Friedenspreisträger Boualem Sansal warnte im Gerhart-Hauptmann-Haus vor einer islamischen Diktatur und sieht das Ende der Welt nahen.

 Boualem Sansal und Stefan Barmann (v.l.) bei der Lesung.

Boualem Sansal und Stefan Barmann (v.l.) bei der Lesung.

Foto: Anne Orthen

In Frankreich hat Boualem Sansal bereits mit seinem jüngsten Roman Furore gemacht. Jetzt ist er übersetzt, und der Autor stellt "2084: Das Ende der Welt" auch in Deutschland vor. Es ist eine düstere Vision, mit der er vor einer Islamisierung Europas warnen will: Ein Roman über eine Religion, die individuelles Denken abgeschafft und ihre Untertanen auf ein allgegenwärtiges Überwachungssystem eingeschworen hat. Nach Düsseldorf haben den 67-jährigen Algerier das Institut Français und das Literaturbüro NRW eingeladen.

Schon als er die Bühne betrat, meinte man es ihm ansehen zu können: Der entspannt wirkende Autor mit der charakteristischen Frisur - schulterlange weiße Haare, die locker in einen Zopf gebunden sind - ist kein Anhänger wie auch immer gearteter Denksysteme. Aber er kennt sich mit ihnen aus, beschäftigt sich seit Jahrzehnten intensiv mit Ideologien.

Nachdem Algerien 1962 von Frankreich unabhängig geworden war, hätten erst der Sozialismus und schließlich der Islam sein Heimatland geprägt. Um zu verstehen, was passierte, habe er gelesen, erzählte der Autor in seinem lebhaften französischen Monolog, den Moderator Stefan Barmann ab und zu unterbrach, um zu übersetzen.

"Ein Buch zog mich besonders an", erklärte Sansal: "1984", der Roman George Orwells über ein totalitäres Regime. "Um dem Islam auf den Grund zu gehen, reicht sein Text aber nicht aus, und ich wollte eine Art Fortsetzung schreiben", sagte der religionskritische Autor. So entstand "2084", das Buch, das eine Hommage an Orwell sei und auch in Details auf ihn verweise, nicht zuletzt mit dessen Anfang, der in einem Sanatorium verortet ist: Weil Orwell 1950 mit 46 Jahren an Tuberkulose starb, wenige Tage, bevor er in ein Schweizer Sanatorium gebracht werden konnte, das ihm sein Leben hätte retten können.

Bücher, längst nicht nur die eigenen, spielen eine zentrale Rolle für den Autor aus Algerien, der im Umfeld von Albert Camus aufgewachsen ist - die Mütter der beiden waren befreundet. Es geht aber um mehr als Literatur. Sansal hat von Anfang an über Politik, Religion und sein Heimatland geschrieben und wurde, nachdem er seinen ersten Roman veröffentlicht hatte, von dem Ministerium entlassen, für das er als hochrangiger Beamter tätig war.

Auch in der Folgezeit passte er sich nicht an, und 2011 zeichnete ihn der Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit dem renommierten Friedenspreis aus: Weil er zu den wenigen in Algerien verbliebenen Intellektuellen gehöre, die die politischen und sozialen Missstände offenlegten.

Jetzt übt er mit "2084" wieder Kritik - an einem totalitären Islam. "Gerichtet ist mein Roman aber an ein westliches Publikum", betonte Sansal. Denn er glaube nicht daran, dass politische und religiöse Systeme sich von innen verändern können, sie bräuchten vielmehr Anstöße von außen.

Sein Gespräch mit Stefan Barmann kam allerdings nicht einmal in die Nähe von Fragen nach einem politischen Handeln: Darüber, wie man mit einem radikalen Islam, mit Lebensformen und Regeln umgehen soll, die den Freiheitsvorstellungen und Werten des Westens widersprechen.

Nach Düsseldorf mitgebracht hat Sansal aber die eindringliche Aufforderung zu einer kritischen Auseinandersetzung und einen lesenswerten Roman.

(RP)
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