Düsseldorf Ein Abend in Rick's Café

Düsseldorf · Die Bürgerbühne erweckt den Filmklassiker "Casablanca" zu neuem Leben und denkt über Flucht und Migration heute nach.

Ein Kuss ist immer noch ein Kuss. Natürlich hat man diese Zeile im Kopf und die Melodie von "As Time Goes By" im Ohr, sobald der Barpianist in der Bühnenausgabe von "Rick's Café" am Klavier sitzt, das Licht weicher wird und die Stimmung melancholisch. Doch der Mann am Klavier will den Sehnsuchts-Ohrwurm aus dem Film "Casablanca" zuerst nicht spielen. Haik Hakopian ist noch nicht so weit. Erst muss dieser Abend noch mehr Erinnerungsbilder aus dem berühmten Anti-Nazi-Melodram heraufbeschwören. Erst müssen noch mehr Geschichten erzählt werden, Fluchtgeschichten von gestern und heute, von berühmten Intellektuellen und denen, deren Namen niemand kennt.

Auch die von Hakopian selbst, der aus dem Iran stammt, Musiker ist, in vielen Ländern gelebt hat, unter anderem in Las Vegas Pianist war, und nun schon seit fast 30 Jahren in Düsseldorf zu Hause ist. Manchmal spielt der Mann mit den langen weißen Haaren in der Halle des Düsseldorfer Flughafens Klavier, unbeachtet von den Passanten. Auf der Bürgerbühne aber soll es nicht nur um seine Rolle gehen, um den "Spiel's noch einmal"-Sam aus dem Film, sondern auch um ihn selbst, den Flüchtling von einst. Längst ist er ein Teil Düsseldorfs geworden, und doch hat er diese Schwermut in den Fingern, wenn er in die Tasten greift und das Lied vom Vergehen der Zeit spielt. Eine Schwermut, die nicht nur aus der Filmvorlage stammt, sondern aus dem eigenen Leben.

Die Gruppe Andcompany & Co hat sich mit der Bürgerbühne daran gemacht, den Film "Casablanca" neu zu schauen und zu spielen: als umgekehrte Fluchtgeschichte. Entstand er 1942 doch in einer Zeit, da Menschen aus Europa hinaus wollten, um der Verfolgung durch die Nazis zu entkommen. Casablanca war ein Transitort auf dem Weg ins Exil. Und Rick's Café ein Mikrokosmos, in dem sie alle aufeinandertrafen: Emigranten, Schlepper, Nazis, Menschen, die vom Aufbruch träumten, und solche, die festhingen am Vergangenen.

In einer anspielungsreichen, anfangs etwas sperrigen Inszenierung verweben Andcompany & Co Motive aus dem Film mit Fluchtgeschichten von heute und spicken ihre Film-Neubesichtigung noch mit Gedanken berühmter Flüchtlinge wie Hannah Arendt oder Bertolt Brecht. Das hat den Reiz, die Themen Flucht und Migration dem aktuellen Krisendiskurs zu entreißen und mit den Mitteln der Kunst gültiger zu betrachten. "Café Casablanca" ist kein Rührstück, es werden keine Schicksale ausgewalzt, es menschelt nicht. Aber der Abend schafft Raum für Begegnung: Menschen aus Düsseldorf, die in anderen Teilen der Welt geboren wurden und vor mehr oder weniger langer Zeit nach Deutschland kamen, teilen etwas von sich mit. Ein Stück ihrer Biografie oder ein wenig Musik aus ihrer Heimat. Das sind die schönsten Momente, wenn der Syrer Khater Dawa singt und rappt oder wenn die Iranerin Mitra Zarif-Kayvan ein Lied anstimmt, bis die anderen tanzen. Das ist keine Migrantenfolklore, da wird Lebensgeschichte hörbar. Und das Theater schafft eine Situation, in der Menschen einander zuhören, beobachten, nicht gleich urteilen. Allerdings ergeben solche Momente, die "Casablanca"-Persiflagen und die theorielastigen Passagen, kein organisches Ganzes. Film-, Bühnen- und biografische Figuren stehen anfangs recht beziehungslos nebeneinander, hinzu kommt das Spiel mit diversen Muttersprachen, da muss der Abend erst in Fluss kommen. Doch bald ist der Zuschauer angekommen in "Rick's Café", folgt den Laien- und Profidarstellern der Bürgerbühne hinein in die Filmgeschichte und wieder hinaus in die Wirklichkeit.

Das Theater kann keinen Film nachspielen - die Bürgerbühne versucht das auch nicht, sie spielt mit Typen und Stimmungen aus "Casablanca" und erlaubt sich komische Momente, etwa wenn sich die Hauptfiguren zum Höhepunkt des Films nicht entscheiden können, wer das rettende Flugzeug besteigen wird, und das minutenlang bei gezückten Waffen ausdiskutieren. So verneigt sich die Bürgerbühne vor einem Filmklassiker und spielt doch ihre eigene Stärke aus: vom Leben zu erzählen - bühnenreif.

(dok)
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