Düsseldorf Ein Brustbeutel voller Hoffnung

Düsseldorf · Hossein Pishkar kam vor vier Jahren aus dem Iran, um an der Robert-Schumann-Hochschule Dirigieren zu studieren.

 Hossein Pishkar während seiner Bachelor-Prüfung - er musste in der Tonhalle dirigieren.

Hossein Pishkar während seiner Bachelor-Prüfung - er musste in der Tonhalle dirigieren.

Foto: Andreas Endermann

Wenn man Hossein Pishkar nach seinem Alter fragt, weicht er aus. Zuerst mit den Augen, die fast andächtig in den Himmel schauen, während er nach den richtigen Worten sucht. "Ein richtiger Dirigent ist man erst mit 60. So sagt man es immer." Dann schweigt Hossein Pishkar, zieht ein Blättchen aus der blauen Packung, füllt es mit Tabak, legt einen Filter rein und zündet die Zigarette an. Pishkar nimmt einen Zug und wartet, obwohl er so viel zu erzählen hat, über sich und seine Familie, sein Leben und seine Leidenschaft.

"Ich weiß nicht, ob es gut ist, das Alter zu verraten." Weil Hossein Pishkar Dirigent werden will und noch lange keine 60 ist. Er studierte an der Robert-Schumann-Hochschule und bestand gerade seine praktische Bachelor-Prüfung mit der Note 1,0. Die Abschlussprüfung legte er mit einem Konzert in der Tonhalle ab. Bald wird er mit dem Master beginnen. Danach will er Orchester leiten und lange vor seinem 60. Geburtstag ein richtiger Dirigent sein. Am liebsten schon heute. Und auch nur hier, in Europa. Nicht, weil er das Land, in dem er geboren und aufgewachsen ist, nicht schätzt. Es ist für ihn seine Heimat. "Ich werde immer Iraner sein. Aber hier habe ich mehr Möglichkeiten", sagt Pishkar. Er ist nicht geflohen aus dem Iran. Er ist auch nicht im Bösen gegangen. "Im Iran ist es nicht so, wie es hier oft dargestellt wird", sagt er. Ganz im Gegenteil: Seine deutsche Freundin sei ganz verliebt in das Land. Weggegangen aus dem Iran ist Pishkar nur, weil es dort den Studiengang Dirigieren nicht gibt, er aber Dirigent werden wollte, seit er zwölf Jahre alt war.

Das musikalische Talent entdeckten die Eltern schon früh an ihrem Sohn. Seine Schwester und er lernten ein Instrument. Sie Geige, er Schlagzeug, später dann die Tar - ein Zupfinstrument mit sechs Saiten. "Durch meine Schwester kam ich in Kontakt mit klassischer Musik", erinnert sich der Student, der selbst mehr persische Musik machte. Die Klassik hatte ihn begeistert, so sehr, "dass ich in meinem Inneren spürte, Orchester leiten zu wollen", sagt er. Da war er zwölf. "Kurz darauf erlebte ich mein erstes musikalisches Schockmoment, mit Gustav Mahler", erzählt Pishkar, für den der Begriff Schock nicht negativ behaftet ist. Ein Schock sei vielmehr etwas Großes, Wahnsinniges, Tolles. Wenn er davon erzählt, gestikuliert er wild, er wippt auf seinem Stuhl vor und zurück, er holt mit den Händen aus, und der Rauch seiner Selbstgedrehten, die er zwischen Zeige- und Mittelfinger eingeklemmt hat, verteilt sich wie Nebel um ihn herum.

Fasziniert und fassungslos zugleich soll Pishkar damals gewesen sein, bei seinem Schockmoment mit Mahler, der ihn in seinem Berufswunsch bestärkt habe, ihn aber noch nicht vollends überzeugte. "Mit der Zeit kamen immer mehr Gründe, Dirigent zu werden", erzählt er, zum Beispiel, als Pishkar mit 15 zu unterrichten begann und seine Schüler, die nicht viel jünger waren als er, beim Abschlusskonzert leiten musste. Schließlich waren da noch die Literatur und die Philosophie, ohne die Pishkar kaum der Student und Dirigent wäre, der er heute ist. "Ich wollte immer die Botschaft und die Bedeutung hinter einem Stück begreifen, die ich nicht nur vom Notenblatt ablesen kann", sagt er. Dafür habe er gelesen: Hegel, Kant, Goethe, Schiller. "Als Dirigent braucht man das, weil man selbst keinen Klang schafft", sagt Pishkar. Die Literatur sei es auch gewesen, die Pishkar antrieb, Deutsch zu lernen. "Ich wollte sie verstehen, die Dichter und Denker", sagt er. Nietzsche mit "Also sprach Zarathustra", der wunderbar ins Persische übersetzt worden sei, vieles aber unübersetzbar bleibe, "wie Gedichte", erzählt er. Vor vier Jahren kam Hossein Pishkar nach Deutschland, und er spricht die Sprache besser als viele, die schon seit Jahrzehnten hier leben, vielleicht sogar hier geboren sind. Lob dafür scheint ihm unangenehm zu sein. Pishkar schüttelt den Kopf und sagt: "Ich habe immer alles bekommen, was ich wollte." Das klingt bei ihm bescheiden. Weil er immer für seine Ziele, seinen Erfolg arbeitete und das nur ganz nebenbei erwähnt. Schon als Teenie verdiente er Geld, um sich irgendwann seinen Traum von Deutschland und seinem Studium zu erfüllen. "Ach", sagt Pishkar, "ich bin einfach ein Träumer."

Wer Pishkar kennenlernt, merkt schnell, dass er viel mehr als das ist. Pishkar ist ein Perfektionist, der es nicht immer leicht hatte, weil er nicht ein normales Leben führte, so wie es Jungs in seinem Alter getan haben, weil er sich für die Musik entschied und gegen den Fußball, weil er lieber Kant las als Sportzeitschriften. Und schon mit 16 wusste, wo er heute sein wird. Er schaffte es, wegen der Ausbildung den Militärdienst zu umgehen. "Ich habe im Iran Komposition studiert", sagt er. Nach dem Bachelor schrieb er sich für den Master ein, obwohl er nie Komposition studieren wollte.

Solange er aber nicht beim Militär war, bekam er auch keinen Reisepass. Bis sein Vater in Rente ging: "Als einziger Sohn der Familie wurde ich schließlich befreit. So lautet ein Gesetz", erzählt Pishkar. Das war der Moment, als er einen Reisepass bekam und legal nach Deutschland kommen konnte. Mit 8000 Euro in einem Brustbeutel, den er bewachte wie einen Schatz, verließ er seine Heimat, seine Familie. "Das war nicht leicht, das Gefühl, aus dem Flugzeug zu steigen, und niemand wartet auf dich", sagt er. Spätestens aber, als er den Kölner Dom sieht, ist er wieder da, dieser Schock: Pishkar ist fasziniert und fassungslos zugleich, und er weiß, dass er alles richtig gemacht hat. Seitdem lebt er in Deutschland, er mag das Land, auch wenn er in der U-Bahn manchmal schräg angeschaut wird, er hat sich verliebt und will bleiben. Er mag das Bier und wünscht sich eine feste Stelle, als Dirigent. Musik ist sein Leben, auch wenn Hossein Pishkar das nie so sagen würde, um niemanden, der ihm nahesteht, zu verletzen. Er formuliert es so: "Musik ist wie die Luft zum Atmen. Ein Geschenk. Meine Aufgabe ist es, das Geschenk an andere weiterzugeben."

Vielleicht ist er schon Dirigent, vielleicht wird er es noch werden. Zeit dafür hat er allemal. Hossein Pishkar ist 27 Jahre alt.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort