Düsseldorf Erste Liebe in der Vorstadt-Villa

Düsseldorf · Starkes Erlebnis: die Bühnenfassung des Romans "Die Mitte der Welt" von Andreas Steinhöfel im Jungen Schauspiel.

 Blick in die Villa "Visible" (v.l.): Julia Goldberg, Paul Jumin Hoffmann, Alessa Kordeck, Julia Dillmann, Kilian Ponert.

Blick in die Villa "Visible" (v.l.): Julia Goldberg, Paul Jumin Hoffmann, Alessa Kordeck, Julia Dillmann, Kilian Ponert.

Foto: David Baltzer

Die Villa hat schon bessere Zeiten gesehen. Auf der Bühne des Jungen Schauspiels an der Münsterstraße erhebt sich ein imposanter Marmorbau mit Riesenfenstern, die den Blick auf einen großen, verwilderten Garten öffnen. Der Vorbesitzer hat wohl davon geträumt, in der Antike zu leben. Auf Säulenimitaten ließ er Zeichnungen mit klassischen Motiven anbringen.

In Andreas Steinhöfels Roman "Die Mitte der Welt" steht dieses Haus am Rand einer namenlosen Kleinstadt. Es ist ein recht aufwändiges Bühnenbild, das Gabriela Neubauer für Robert Gerloffs Dramatisierung des Romans geschaffen hat.

Das 1998 erschienene, preisgekrönte und im vergangenen Jahr verfilmte Buch erzählt die Geschichte des 17-jährigen Phil, der mit seiner Mutter Glass und seiner Zwillingsschwester Dianne die halbverfallenen Villa in Beschlag genommen hat. "Visible" haben sie ihr beinahe mythisches Zuhause genannt, warum auch immer. Es ist jedenfalls für sie die Mitte der Welt. Den Bewohnern der Stadt sind die drei neuen Nachbarn nicht geheuer. Kontakt zu den "Visibles" suchen nur wenige.

Mit sechs jungen Darstellern hat Robert Gerloff insgesamt siebzehn Rollen besetzt und führt sie in einem furiosen zweistündigen Parcours durch die Handlung. Diejenigen, die gerade keinen Einzeltext haben, bilden einen Chor und erzählen Rückblenden oder erläutern und kommentieren die Geschehnisse. Kaum zählbar sind die Szenen, es gibt Schnitte wie beim Film, und vom Film ist auch eine herrliche Slow-Motion-Szene entlehnt.

Phil ist schwul. Kilian Ponert zeigt einen betörenden jungen Mann, der sich nach Kräften bemüht, ein authentisches Ich zu leben. Doch dann erwischt ihn wie ein Blitz die Liebe, in Gestalt des neuen Schülers Nicholas (Paul Jumin Hoffmann). Den Mund leicht geöffnet, mit erstauntem und gleichzeitig erkennendem Blick steht Ponert vor seinem Traummann. Der allerdings ist skeptisch gegenüber dem großen Wort Liebe. "Ich brauche dich" ist das Maximum an Zuneigung, was Jumin neben den intensiven körperlichen Begegnungen über die Lippen kommt.

Phils Mutter Glass hat Verständnis für die sprachliche Zurückhaltung. Ihre eigenen Männergeschichten waren meist enttäuschend. Das eigenwillig buchstabierte Wort "Huhre" hat gerade jemand an die Wand der Villa gesprüht. Die Glass-Darstellerin Julia Dillmann rastet aus: "Hure schreibt man mit nur einem H", schreit sie immer wieder und rennt zu ihrem Schlagzeug. Mit wildem Trommelwirbel begleitet Dillmann während der gesamten Handlung die dramatischen Episoden, wenn Sex, Gefühle und Gewalt aus dem Ruder laufen. Neben vielerlei Musik, von Rap bis Marianne Rosenberg, bilden die Schlagzeugsolos ein Leitmotiv des Bühnenspiels.

Es ist aber vor allem die darstellerische Leistung, mit Kilian Ponert an der Spitze, die diese Inszenierung zu einem starken Erlebnis macht.

Nicht enden wollender Applaus am Premierenabend.

(RP)
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