Düsseldorf Für einen Abend die Fäden ziehen

Düsseldorf · Im Marionetten-Theater sind die Spieler unsichtbar. Was sie leisten, versteht man erst hinter den Kulissen - wenn man mitspielen darf.

Der Vorhang geht auf. Ich konzentriere mich, spüre, wie nun doch Aufregung in meinem Magen kribbelt. Gleich werde ich Ritter Lanzelots Esel sein. Ich werde die holzgeschnitzte Tierfigur, die den verletzten Helden auf dem Rücken trägt, durch die Bergkulisse bewegen. Eine kleiner Auftritt für das Tier, eine große Sache für einen Marionettenspieler-Neuling. Neben mir auf der engen Führungsbrücke hinter der kleinen Bühne stehen fünf, ganz in schwarz gekleidete Puppenspieler, die Profis, denen ich heute assistieren darf. Als Esel. Die echten Spieler bedienen gerade lautlos, mit grazilen Bewegungen die großen Marionetten. Darunter der Bürgermeister und die Jungfrau Elsa. Zu beobachten, wie sie die Figuren, an zwei Meter langen Fäden, lebendig werden lassen, ist so beeindruckend, dass ich beinahe vergesse, dass auch ich heute ein paar Aufgaben übernehme.

Heute steht "Der Drache" des russischen Autors Jewgenij Schwarz auf dem Spielplan. Vor der Aufführung hatte ich die Möglichkeit, ein paar der großen Marionetten zu halten und zu bewegen. Kompliziert ist das und schwer. Als Kind hatte ich immer gedacht, Puppen würden sich von alleine bewegen. Gleichzeitig haben die Marionetten mich beunruhigt, weil ihre großen Augen und teilweise kantigen Gesichtszüge furchteinflößend wirken konnten.

Ein Marionettenspieler zu sein, ist körperliche Schwerstarbeit. Die Künstler sind immer in Bewegung und schwingen sich von der beweglichen hinteren Führungsbrücke zur Vorderbrücke. Hier ist mindestens genauso viel los wie auf der Bühne.

"Ganz langsam", raunt Anna mir zu, als ich beginne, an der Schnur des Esels zu ziehen. Anna Zamolska ist seit einem Jahr Puppenspielerin im Marionetten-Theater. Angefangen hat sie als Aushilfe an der Kasse. Um die Kunst zu erlernen, lief sie zunächst während der Aufführungen hinter einem erfahrenen Spieler her. Nach einigen Monaten sei man dann bereit, die Puppen eigenständig zu bewegen, sagt Anna. Es braucht allerdings ein Jahr, um wirklich eingespielt zu sein.

Das Düsseldorfer Marionetten-Theater wird dieses Jahr 60 Jahre alt. Seit den 1980er-Jahren leitet Anton Bachleitner das Haus. Und nicht nur das; er baut auch gemeinsam mit dem Ensemble die Marionetten in Eigenarbeit. Hinter der Bühne befindet sich ein Teil seiner Werkstatt. In Reih und Glied hängen hier Schnitzwerkzeuge, mit denen die Puppen und Requisiten entstehen. Ich staune über die Skizzen der Figuren aus "Die unendliche Geschichte", die bis ins Detail gezeichnet sind.

Und dann gibt es natürlich noch das Bühnenbild. Dafür spiele er jedes Stück erst einmal in seiner kleinen Modellbühne mit Miniaturfiguren durch, erzählt Bachleitner. Eine Produktionsvorbereitung dauert ungefähr acht bis zehn Monate. Zurzeit stocken die Produktionen im Marionetten-Theater jedoch. Durch Brandschutzauflagen der Stadt ist das Theater so eingeschränkt, dass es keine neuen Inszenierungen produzieren kann. Die Arbeiten laufen, ziehen sich jedoch noch über ein Jahr, so Bachleitner. Glücklicherweise hat das Düsseldorfer Marionetten-Theater insgesamt 22 Stücke im Repertoire.

In der Märchenkomödie "Der Drache" geht es um eine Stadt, die seit langer Zeit von einem bösen Drachen beherrscht wird. Jährlich muss sie ihm ihre schönste Jungfrau opfern, dieses Jahr soll es Elsa sein. Die Menschen haben sich mit ihrem Schicksal und der Diktatur abgefunden. Doch dann kommt Ritter Lanzelot und entschließt sich, die Stadt zu befreien. Er kämpft gegen den Drachen und gewinnt. Die Stadtoberen aber stellen sich gegen Lanzelot.

Der Vorhang schließt sich, im Saal ertönt Applaus. Während die Puppenspieler für die Verbeugung auf die Bühne hasten, atme ich durch. Ich habe heute erfolgreich den Esel bewegt und anschließend an den Fäden der Stadtbewohner gezogen, als sie ihrem Bürgermeister zujubelten. Das war definitiv viel schwieriger als gedacht. Entsprechend groß ist meine Bewunderung für meine heutigen "Kollegen". Wer ahnt schon, wie viel Körpereinsatz so eine Aufführung fordert. "Ein Fitnessstudio brauchen wir nicht mehr", erzählt Anna. Wie recht sie hat, sollte ich noch erfahren. Am nächsten Tag wache ich mit Muskelkater auf.

(RP)
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