Düsseldorf Fulminanter Abend mit John Eliot Gardiner in der Tonhalle

Düsseldorf · Felix Mendelssohn Bartholdys 2. Sinfonie mit dem Titel "Lobgesang" ist ein Zwitterwesen. Die erste knappe Hälfte, nach alter Art "Sinfonia" überschrieben, ist ein großer, durchkomponierter Satz, bei dem die Teile einer klassisch-romantischen Sinfonie mehr als nur angedeutet sind. Durchkomponiert ist auch der zweite Teil, der in weiteren neun Sätzen zutiefst in der Geschichte des protestantischen Oratoriums verwurzelt ist. In beiden Teilen bekommt man das, was man an Mendelssohn liebt: Der sinfonische Satz changiert zwischen strenger Form und lyrischem "Lied ohne Worte"; das Oratorium beglückt mit allen Tugenden, die man von Mendelssohns eigenen Werken und denen seines Vorbilds Bach kennt.

 Versierter Dirigent: Sir John Eliot Gardiner.

Versierter Dirigent: Sir John Eliot Gardiner.

Foto: Susanne Diesner

Wenige Tage vor dem Reformationstag (und dem Beginn der Feierlichkeiten zum Reformations-Jubiläum) gastierte Sir John Eliot Gardiner mit dem London Symphony Orchestra und dem von ihm gegründeten Monteverdi Choir in der Tonhalle. Vor kurzem noch ist ein von ihm verfasstes Buch über Bachs geistliche Werke erschienen. Hier nun hatte er Mendelssohns Lobgesang im Gepäck. Es war eine fulminante Aufführung.

Die Hundertschaft der Instrumentalisten saß sozusagen auf der Stuhlkante, wo sie wach dem Dirigenten folgte und den punktierten Rhythmus des Hauptthemas mit Energie gestalten konnte. Die weiteren Charaktere der Musik zwischen sinfonischer Durchführung, ballettartigem Tanz und Bläser-Choral waren eine Erbauung. Dazu gab es Bläsersoli mit weicher und plastischer Tongebung.

Vollends protestantisch wurde es, als der Chor aufstand und "Alles, was Odem hat, lobe den Herrn" anstimmte. Bis in den Choral "Nun danket alle Gott" hinein setzten Gardiner und der Chor immer wieder auf stählernen Brustton. Zu kurz kam aber auch die zarte Seite des Klangspektrums nicht, etwa wenn Mendelssohns Melodien so geformt wurden, dass ihre Beseeltheit greifbar wurde.

Den Solisten Lucy Crowe (Sopran), Jurgita Adamonyte (Mezzo) und Patrick Grahl (Tenor) modellierten ihre Soli und Duette aufs Feinste und wussten ihre Kräfte wohl zu dosieren. Das diente auch der Dramatik etwa bei dem zunächst mit halber Stimme gesungenen Tenor-Ruf "Hüter, ist die Nacht bald hin?", der daraufhin das Potenzial hatte, sich mit voller Stimme zu entfalten.

Vorgeschaltet waren dieser Sinfonie zwei kurze Kompositionen Beethovens: Die dritte Leonoren-Ouvertüre glänzte durch 100-prozentigen Einsatz wirklich aller Instrumentalkräfte.

Nicht nur bei den heftigen Akzenten, auch bei den sich schier überschlagenden Streicherläufen war man 100-prozentig zusammen. Mit "Meeresstille und Glückliche Fahrt" nach Goethe-Gedichten konnte sich der Monteverdi-Chor bereits vorstellen und einsingen.

Der höchst versierte Chor-Anleiter Gardiner modellierte die musikalischen Verläufe plastisch heraus. Ein erhebender Abend.

(RP)
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