Gastbeitrag Philipp Maiburg Gebt der Kultur ihre Räume!

Düsseldorf · Der Festival-Macher plädiert dafür, ungewöhnliche Orte für kulturelle Veranstaltungen zu erschließen. Die Stadt profitiere davon.

 Eingang zum "postPOST Grand Central" an der Kölner Straße gegenüber dem Tanzhaus NRW. Der Ort besteht noch bis Ende des Jahres.

Eingang zum "postPOST Grand Central" an der Kölner Straße gegenüber dem Tanzhaus NRW. Der Ort besteht noch bis Ende des Jahres.

Foto: Anne Orthen.

Seit November vergangenen Jahres betreiben wir das größte Zwischennutzungsprojekt Düsseldorfs. Es liegt hinter dem Hauptbahnhof. Sein Titel: "postPOST Grand Central". Wir, das sind das Open Source-Festival im Schulterschluss mit der Agentur ZackBumm und dem Projektentwickler Catella. Innerhalb weniger Wochen wurden Büroräume zu Künstlerateliers und Musikstudios, Kellerräume zu Galerien und Studios für "gemütliches Aktzeichnen". Außenrampen wurden zur HipHop-Festival-Arena, Aufseher-Kanzeln zu Tätowierstudios, die Anlieferhalle zum Pop-Up-Restaurant und ein Schießstand spontan zum Cello-Konzertraum. Die endlos lang erscheinende Versandposthalle beherbergte Märkte, Messen, Kongresse, Food Festivals, Skate Sessions, Videoproduktionen, Drohnen-Rennen, Konzerte und Theateraufführungen. Und auf dem Parkdeck traf sich die örtliche Fahrrad-Polo-Truppe, von deren Existenz wir bislang keinen Schimmer hatten.

Die von Anfang an erwünschte Dynamik und die geforderte Einflussnahme von außen hat sich in verschiedene Richtungen entwickelt. Die Zusammenarbeit und das Genehmigungsmanagement mit den Ämtern verlief konstruktiv. Natürlich sind wir auf Schwierigkeiten gestoßen. Etwa mit der Drogenszene und den damit verbundenen Gewerben. Insgesamt ziehen wir aber positive Bilanz: Wir konnten über ein Jahr lang auf 38.000 Quadratmeter Freiraum den Grenzgang zwischen kultureller und kommerzieller Zwischennutzung proben.

Bevor wir das Gelände zum Jahresende den Baggern übergeben, passiert natürlich noch einiges. Heute findet ab 18 Uhr der erste von vier Abenden der "Creative Hive" Community im "postPOST Grand Central" statt. Verschiedene Referenten aus Werbung, Design und Medien versuchen in ihren Vorträgen diese Frage zu beantworten: Wie bedingen sich Kultur und Wirtschaft - und umgekehrt?

Unter diesem Blickwinkel wird es auch um die Relevanz von Räumen gehen. Ich betrachte vor allem Orte, die die Stadt und ihre Szene popkulturell geprägt haben. Völlig falsch wäre es hier, nur zu erörtern, ob sich ein Ort für Kreativschaffende aus sich selbst irgendwann als Geschäftsmodell entwickeln kann. Wichtig ist nämlich vor allem dieses: Was wurde durch einen Ort und seinen Impuls möglich?

Die Düsseldorfer Szene war und ist überschaubar, aber die Akteure sind offen, engagiert und experimentierfreudig. Viele internationale Kontakte sorgen für kreative Einflüsse und Kooperationen, aus den akademischen Umfeldern wie der Kunstakademie oder dem Institut für Musik und Medien kommen sowohl Inspirationen als auch Musiker und Künstler. Seit den 1960er Jahren sind das die Konstanten und Einflussgrößen, die in Düsseldorf immer wieder neue, einzigartige und wegweisende Musik entstehen lassen: von Fluxus über Kraftwerk und Neu! zu DAF, Der Plan und dem Label Ata Tak, später Kreidler, Mouse On Mars oder Hauschka, aktuell Tolouse Low Trax, Lucas Croon oder Jan Schulte.

Genau so wichtig wie die gegenseitige Beeinflussung der unterschiedlichen Genres und Protagonisten sind die Orte für den künstlerischen Austausch. Der Künstlerclub Creamcheese in den 1960er und frühen 70er Jahren, der "Ratinger Hof" von den 70ern über die 80er bis in die 90er, der "Unique Club" ab Mitte der 90er, der "Ego Club" in den nuller Jahren und nun seit gut zehn Jahren der "Salon des Amateurs". Nur durch diese Räume - alle im innerstädtischen Bereich gelegen - konnte so viel außergewöhnliche Musik in Düsseldorf kreiert und kultiviert werden, wodurch die Stadt weltweit charakteristisch positioniert wurde.

Mit dem Open Source-Festival leisten wir seit mehr als zwölf Jahren unseren Beitrag, die Popkultur der Stadt im internationalen Kontext erlebbar zu machen. Außerdem durch weitere Formate wie mit dem Artist-in-Residence-Projekt "Live At Elektro Müller" im ehemaligen "Kling Klang"-Studio von Kraftwerk an der Mintropstraße.

Heute finden wir uns in einer zunehmend verdichteten Stadt wieder, die mehr und mehr Gefahr läuft, sämtliche Freiräume zu opfern. Vermutlich wird es nicht genügen, wenn hier und da Leerstand genutzt wird, um Kreativschaffenden das Scheitern oder Großartig-Sein zu ermöglichen. Allmählich muss auch die Stadtplanung erkennen, dass nicht nur Wohnungen, Schulen, Kitas und Schwimmbäder eine Stadt definieren. Auch wenn der Druck immens ist.

Die Frage ist aber auch welche Orte können zum Beispiel Unternehmen und Institutionen schaffen, um Impulse zu geben? Gibt es beispielsweise am "Platz der Ideen" - dem Deutschlandsitz der Werbeagentur Grey - noch Potenzial, Räume zu öffnen? Sipgate auf der Gladbacher Straße lädt regelmäßig ein zu Konzerten, Ausstellungen und Talks. Zudem unterstützt das Unternehmen viele junge Kulturformate in der Stadt. Oder die Kunsthalle. Sie beherbergt den Salon Des Amateurs, und alle Beteiligten hoffen, dass die anstehenden Sanierungsarbeiten nicht zum Aus des Clubs führen, den die aktuelle Ausgabe der "Groove" - Deutschlands führendes Magazin für elektronische Musik - mit einem Fünf-Seiten-Beitrag ehrt.

Wenn die Kulturgeschichte Düsseldorfs weitererzählt werden soll, braucht sie ungewöhnliche Orte, an denen sie stattfinden kann.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort