Düsseldorf Genieße die Stille - bei Laurent Chétouane im Tanzhaus

Düsseldorf · Der französische Choreograph Laurent Chétouane, der seit 2001 in Deutschland arbeitet, macht vieles anders. Wenn er sein neues Stück, eine deutsche Uraufführung, "Soli" nennt, stehen drei Tänzer auf der Bühne, die sich einen Raum teilen, ihn aber höchst individuell nutzen. Sie vermessen ihn, finden sich zusammen, fallen aber immer wieder auseinander, so als hänge jeder von ihnen seinen eigenen Gedanken nach. Dabei kann Chétouane mit drei hervorragenden Tänzern zusammenarbeiten, die schon für Keersmaekers und Forsythe getanzt haben, Ioannis Mandafounis, Roberta Mosca und Mikael Marklund.

Die müssen zuerst einmal verlernen, was sie kennen. Denn auch wenn ihnen Raum zugeteilt wird, so arbeiten sie doch autonom. Unterstützt werden sie von subtilem Lichtdesign, das sie in die Kälte einer Lichtsäule oder die Wärme von Scheinwerfern taucht. Auffällig ist das Fehlen der Musik. Geräusche nehmen einen wichtigen Platz ein, das Atmen, das Treten der Füße auf dem Boden, der ein oder andere Laut. Diese Form der Stille schafft neue Möglichkeiten. Manches Mal scheint es, als würden die Tänzer das Publikum infiltrieren, das so zum Bestandteil einer Aufführung wird.

Die Akteure scheinen vieles auszuprobieren, sie begehen die Bühne in seltsamen Schrittfolgen, sie bilden Allianzen, beobachten einander, kommen zusammen und trennen sich wieder. Wenn "Soli" aus Bruchstücken zu bestehen scheint, so entwickeln sich doch spannende Momente, die eine Geschichte erzählen oder andeuten. Manches bleibt rätselhaft.

Man muss nur auch als Publikum das verlernen, was man kennt. Fast wünscht man sich, das Geschehen könnte nach einer Stunde noch weitergehen, als sei noch nicht alles gesagt. Hinter all dem steckt das Verlangen, die Bühne zu öffnen, den Blick auf das Aquarium zu erweitern. Chétouane misstraut dem Vertrauten, ihn interessiert das Unerwartete, das Verlassen sicherer Pfade, die Momente, in denen alles anders sein könnte. Das ist hermetisch, es stellt Ansprüche, löst sie aber auf schönste Weise auch wieder ein.

Dabei nimmt das Theater einen neuen Raum ein. Wie Chétouane selbst sagt: "Die Vision einer geteilten Welt scheint sich mit der geopolitischen Realität von heute nicht länger zu decken". In seiner Welt geschieht alles gleichzeitig. Es müssen immer wieder neue Entscheidungen getroffen werden. Das fällt tatsächlich nicht immer leicht, aber die neuen Positionen lohnen sich. So ist die Entscheidung, den Raum für ein Gruppenstück solistisch zu betrachten und zu erkunden, auch eine politische.

(RP)
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