Düsseldorf Gregor Samsas nebulöse Verwandlung

Düsseldorf · Im Kleinen Haus setzte Alexander Müller-Elmau den Text "frei nach Kafka" in Szene.

Unentwegt rinnt von der Decke feiner Sand auf die Bühne - eine Sanduhr eigener Art, die offenkundig auf den Tod Gregor Samsas vorausweist. Doch zunächst sind 70 Minuten ohne Pause durchzustehen: Alexander Müller-Elmau hat Franz Kafkas berühmte, immer wieder neu gedeutete Erzählung "Die Verwandlung" im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses etwas unscharf auf die Bühne gebracht. Da drei Darsteller insgesamt neun Personen verkörpern, macht es dem Zuschauer oft Mühe zu begreifen, wen er gerade vor sich hat.

Wie die hohe Sandsäule eine Art Nebel ringsum erzeugt, so verschwimmen auch die Konturen der handelnden Personen. Lediglich Daniel Fries als Gregor Samsa, der junge Mann, der sich allmählich in ein Ungeziefer verwandelt, daraufhin bei seiner Familie in Ungnade fällt und daran zugrunde geht, braucht nur diese eine Rolle auszufüllen.

Äußerlich bleibt er das gesamte Stück über nahezu unverwandelt. Nur mit einer Unterhose bekleidet, wälzt er sich schon zu Beginn der Aufführung auf seiner Matratzengruft vor der Bühne. Er versinkt darin, bis Jonas Gruber als Vater den Polsterberg mit wilden Bewegungen abträgt und dem Sohn wutschnaubend seinen Ekel ausdrückt. Irgendwann ist Gregor Samsa so verschmutzt, dass Bettina Kerl als seine Mutter ihn zu waschen beginnt - eine der wenigen anrührenden Szenen des Abends.

Ansonsten fallen Vater und Mutter zuweilen übereinander her, Gregor Samsa wirkt zunehmend isoliert - und die Aufführung zieht sich. Warum eigentlich verdoppelt die Videowand im Hintergrund die Szenen, die sich für jedermann sichtbar auf dem Matratzenberg abspielen? Vermutlich nur, weil solche Optik heutzutage zum Standard zählt.

Wenn ein Regisseur einen Text "frei nach. . ." inszeniert, braucht er sich nicht an der Vorlage messen zu lassen. Dennoch fragt man sich, warum er sich ausgerechnet über einen Kernsatz der Erzählung hinwegsetzt. Gegen Ende nämlich befindet die Schwester über den soeben tot aufgefundenen Gregor Samsa: "Es ist krepiert." Dadurch hat Kafka den Menschen nach langer Verwandlung endgültig zum Tier, ja zum Objekt werden lassen. Auf der Bühne dagegen stellt Bettina Kerl lapidar fest: "Er ist krepiert."

Am Ende des Stücks geht alles ganz schnell. Dass die dreiköpfige Familie sich jetzt auf ein neues gemeinsames Leben freut, als wäre nicht etwas Entsetzliches geschehen, läuft am Zuschauer fast vorbei.

Ausgiebiger Applaus, der allerdings auch dann nicht anschwoll, wenn Darsteller einzeln nach vorn traten. Begeisterung klingt anders.

"Die Verwandlung" zählt übrigens in Nordrhein-Westfalen zu den Lektürevorgaben für das Abitur 2016. Schülern sei empfohlen, sich nicht auf diese Inszenierung zu verlassen, sondern allein auf den Text.

Nächste Aufführungen am 14., 16., 18., 24., 29. September; Kartentelefon: 0211 36 99 11

(B.M.)
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