Düsseldorf Gretchen ist auf dem Sprung

Düsseldorf · In der "Faust"-Premiere wurde Katharina Lütten frenetisch bejubelt. Doch sie bleibt nur bis zum Ende der Spielzeit am Schauspielhaus.

 Katharina Lütten flüchtet in der Rolle des Gretchens vor Faust (Stefan Hunstein).

Katharina Lütten flüchtet in der Rolle des Gretchens vor Faust (Stefan Hunstein).

Foto: Sebastian Hoppe

Es war ein kurzes Weihnachtsfest mit der Familie, daheim in Hamburg. Schon am ersten Feiertag machte sich Katharina Lütten wieder auf den Weg nach Düsseldorf. Im Schauspielhaus lief abends "Mephisto", die letzte Vorstellung vor dem Umzug ins Central. Doch in ihrem Kopf kreiste die ganze Zeit eine andere Rolle - das Gretchen in "Faust I". Mindestens einmal am Tag habe sie ihren Text im Geiste durchflogen, "damit auch ja das Fleisch dranbleibt." Davor hatte es nur die Premiere gegeben, und was ihr dabei widerfuhr, kann sie noch immer nicht so recht fassen. Als Katharina Lütten, das weiße Kleidchen blutbefleckt, die langen Haare wirr, zum Verbeugen die Bühne betrat, wurde sie frenetisch umjubelt. Man sah, wie sie ein wenig zusammen zuckte und dann nur noch strahlte. "Das war fern jeder Koketterie", sagt sie. "Du kommst raus und weißt nicht, wie dir geschieht. Bis du merkst, der Beifall gilt in diesem einen wundervollen Moment ganz allein dir."

Heute wird sie ihn wieder genießen, mehr als in allen Rollen zuvor. Seit einem Jahr gehört Katharina Lütten zum Ensemble. Nach Stücken wie "Chemise Lacoste", "Der Sommernachtstraum", "Der Hauptmann von Köpenick" und "Mephisto" flog ihr das Gretchen entgegen. Und sofort erinnerte sie sich an die Schauspielschule in Hamburg, die sie glänzend absolviert hatte. Nur einmal wurde sie zurechtgestutzt: Das perfekte Gretchen sei sie nicht, sagte man ihr. Dieses Mädchen müsse nach tradierten Maßstäben kleiner, zarter, feiner sein. "Ich nahm es hin wie einen Makel. Deshalb erschrak ich fast, als man mir die Rolle anbot. Wie sollte ich das denn spielen, wo ich doch nicht das perfekte Gretchen bin?" Dann aber habe sie sich besonnen. Und überlegt, was sie erzählen wollte. "Es geht doch darum, worauf ich Lust habe als Schauspielerin. Da muss man sich freimachen von vorgefertigten Meinungen." Was bei den Proben begann, war ein Kampf mit sich selbst: "Ich kann sehr ehrgeizig sein und habe sechs Wochen lang mit meinen eigenen Ansprüchen gerungen. Es hatte seine Tücken, die Reime in den Kopf und in den Körper zu kriegen. Aber diese Rolle war wichtig, auch für mein Selbstvertrauen." Sie fürchtete sich zwar vor der Premiere, sprang dann aber beherzt auf die Bühne, mit dem Vorsatz, alles zu geben: "Spiel bloß nicht mit angezogener Handbremse. Und wenn du scheiterst, dann scheiterst du eben." Bei der Gartenszene, da habe sie zum ersten Mal gespürt, dass es eine Verbindung zum Publikum gab, dass sie es mit ihrem Spiel berührt hatte.

Katharina Lüttens Eltern sind Krankenpfleger. Mit ihrem Vater ging sie in jungen Jahren häufig ins Thalia-Theater. "Damals wurde ich angefixt, wenn auch zunächst ohne den Wunsch, diesen Beruf selber zu ergreifen." Kurz liebäugelte sie nach dem Abitur damit, Medizin zu studieren, "doch ich war dann zu feige dazu". Ein gutes halbes Jahr reiste und jobbte sie in Australien. Danach studierte sie in Mainz Theaterwissenschaft und Ethnologie. Ihr damaliger Freund, ein Schauspieler, ermunterte sie, es ebenfalls mit der Bühne zu versuchen. "Mir gefiel die Idee. Allerdings nahm ich mir vor, den Zirkus mit dem Vorsprechen höchstens vier Mal mitzumachen."

Es gelang, sie bekam einen Platz auf der Schauspielschule in ihrer Heimatstadt Hamburg. Schon während des Studiums und auch nach ihrem Abschluss 2013 erhielt sie Offerten von Theatern. "Damals zögerte ich noch, mich so früh festzulegen."

Bei dem Angebot aus Düsseldorf hatte das Zaudern dann ein Ende. Wie fast alle ihre Ensemble-Kollegen weiß Katharina Lütten noch nicht, wie es nach dieser Spielzeit weitergeht. Der neue Intendant Wilfried Schulz wird nur wenige Schauspieler übernehmen. Sie gehört nicht dazu.

"Natürlich war das eine Enttäuschung", sagt sie. "Aber so ist unser Beruf. Man wird dadurch auch gestählt."

(RP)
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