Johann Michael Schmidt Heine lobt sein Vorbild Luther

Düsseldorf · Düsseldorfs großer Sohn hat den Reformator über alle Maßen bewundert - und dabei manches ausgeblendet.

Im Jahr des Reformationsjubiläums lohnt ein erneuter Blick auf Heinrich Heine. Er verehrte Martin Luther als Riesen, von dessen Schultern er selbst als Zwerg auf die Welt zu blicken glaubte. Der in Meerbusch lebende evangelische Theologe Johann Michael Schmidt (82), früher Professor an der Universität Köln, hat sich jahrzehntelang mit Heines einseitigem, zum Teil unkritischem Verhältnis zu Luther auseinandergesetzt.

Heine hatte einen bewundernden, zugleich eingeschränkten Blick auf Luther. Was kann eine Auseinandersetzung mit seinen Äußerungen zum Reformationsjubiläum beitragen?

Schmidt Sie ist innerhalb der Lutherdekade ein wohltuendes Gegengewicht gegen die Tendenz, Luther auf den Sockel zu heben oder dort zu belassen. Heine bringt aber auch eine andere Sicht - neben der kirchlichen und theologischen - ins Spiel, weil er einen eigenwilligen Zugang zu Luther hatte: Er nahm, wie er selbst sagte, einen Standpunkt auf den Schultern des Riesen Luther ein und konnte dadurch weiter sehen als dieser.

Wenn Heine sagt "Ruhm dem Luther!", würdigt er ihn vor allem als Aufklärer und damit als seinen Geistesverwandten. Er geht aber zugleich hinweg über Luthers Rolle im Bauernkrieg, seine Ausfälle gegen Muslime und Juden. Kannte Heine Luthers Schattenseiten nicht?

Schmidt Dass Luther sich auf die Seite der Obrigkeit schlug und deren kriegerisches Vorgehen gegen die Bauern rechtfertigte, hat Heine nur sehr vorsichtig kritisiert. Er begnügte sich mit der Feststellung: "Luther hatte unrecht und Müntzer hatte recht." Eigentlich hätte man da viel Schärferes erwartet. Auch wundere ich mich darüber, dass ausgerechnet der Jude Heine kaum Anstoß an Luthers Verdammung der Juden nahm. Er wusste, was ihm selbst widerfahren war: Die christliche Taufe als Entreebillett in die europäische Kultur hatte ihm nichts genützt.

Allerdings wird man Heine zugute halten müssen, dass er die furchtbaren Judenschriften Luthers von 1543 vermutlich nicht kannte.

Schmidt Ja. Der Bochumer Kirchengeschichtler Johannes Wallmann hat festgestellt, dass die schrecklichen späten judenfeindlichen Schriften bis ins 19. Jahrhundert hinein erstaunlich wenig Beachtung fanden. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dann zur Nazi-Zeit haben sich die Leute auf diese Schriften gestürzt.

Luther war auch gegenüber konkurrierenden Reformierten intolerant: den Bilderstürmern, den Reformierten aus der Schweiz und den Humanisten. Heine schien ihm das nicht übelzunehmen.

Schmidt Auch das ist erstaunlich, zumal er ja in anderen Fällen die Streitaxt zu führen verstand.

Hatte das bei Heine einen strategischen Grund - dass er an Luther als Vorbild festhalten wollte?

Schmidt Das vermute ich. Er war ja kein Wissenschaftler. Er war von Luther beeindruckt, und zwar als Literat in erster Linie von Luthers Sprache und speziell von Luthers Bibelübersetzung. Und er war begeistert von Luthers Freiheitsgedanken. Beides steht bei Heine so einseitig im Vordergrund, dass er alles andere ausblenden konnte. Dass er von Luthers Ausfällen nichts gewusst haben sollte, kann ich mir nicht vorstellen. Denn er hat ja schon früh Luthers Schriften sorgfältig studiert, bereits in Düsseldorf.

Heine lobte an Luther auch, dass er in religiösen Streitfragen die Vernunft als oberste Richterin ausgerufen habe. Das sehen Sie als Bibelwissenschaftler anders?

Schmidt Für Luther war die Bibel die oberste Richterin, nicht die Vernunft. Da hätte Luther mit Sicherheit protestiert. In seiner ersten "Regel, in der Theologie zu studieren", fordert er zum Gebet auf, "dass Gott dir seinen heiligen Geist gebe, der dich erleuchte, leite und Verstand gebe".

In welchen Punkten hat Heine aus heutiger Sicht Luther zu Recht gelobt?

Schmidt Zu Recht hat er die Bibelübersetzung gelobt. Sie ist schon allein sprachlich ein Meisterwerk. Und er hat den Freiheitsgedanken zu Recht gelobt: frei von Rom zu werden, den Menschen unmittelbar die Bibel zu erschließen, niemand braucht die Kirche als Vermittlungsinstanz. Heine hat auch Luthers Kritik am Ablasshandel gelobt. Er sah diese Kritik als Initialzündung zu Luthers Reformation und als Frontalangriff auf die Papstkirche.

Luther ist von den Nationalsozialisten vereinnahmt worden. Was wirkt davon heute nach?

Schmidt Am ehesten wird die Kenntnis von solcher Vereinnahmung Luthers durch die Nationalsozialisten den Blick auf seine Zwei-Reiche-Lehre und seine Beanspruchung der Obrigkeit für die Verbreitung seiner Lehre geschärft haben, insbesondere für seinen Kampf gegen die Juden und ihre "Lästerungen Christi". Der Verlauf der Reformation nach den Bauernkriegen war das Gegenteil dessen, was Luther wollte. Er hatte der Obrigkeit die Organisationsfragen der Kirche übertragen, und er hatte die Obrigkeit aufgefordert, die Juden zu vertreiben: "Sie sind unsere öffentlichen Feinde".

Wie lässt sich das erklären?

Schmidt Das war sehr tief in Luther verwurzelt. Er war immer von Angst getrieben: Angst vor den Türken, vor dem nahen Ende der Welt, Angst aufgrund seiner eigenen Sünden, Angst, "sich fremder Sünden (der Juden) teilhaftig zu machen", wenn er den Lästerungen Christi durch die Juden nicht Einhalt gebieten würde.

Was stand im Zentrum seiner Judenfeindschaft?

Schmidt Das Zentrum seiner religiösen Judenfeindschaft bildet sein exklusiv christliches Verständnis des Alten Testaments; in ihm sah er die eigentliche Bibel, "Grund und Beweisung des Neuen Testaments", allerdings strikt christusbezogen. Als er sah, wie sich die Kenntnis der hebräischen Sprache auch unter christlichen Theologen verbreitete und der Widerspruch zwischen dem hebräischen Text und seiner christlichen Interpretation immer offensichtlicher wurde, packte ihn die Angst, dass das Fundament seines Glaubens brüchig würde. Aus Angst hat er das Gespräch mit Juden regelrecht verweigert. Darin zeigt sich am stärksten der Unterschied zwischen Luther und Heine: Solche Ängste hatte Heine nicht.

(B.M.)
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