Jürgen Engler "Ich bin immer noch Punk"

Düsseldorf · Der Sänger der Band Die Krupps über die alten Zeiten im Ratinger Hof, verbrannte Deutschland-Flaggen und seine Rückkehr in die Heimat.

Jürgen Engler gehört zu den großen Figuren der Musikgeschichte Düsseldorfs - obwohl er seit Jahren in Texas lebt und inzwischen amerikanischer Staatsbürger ist. Der heute 57-Jährige aus Bilk war Sänger der ersten deutschen Punkband Male. In den späten 70er Jahren war er bekannter als Campino. Dessen erste Band ZK spielte einst im Vorprogramm von Male. Engler und Campino hatten einen legendären Streit, es ging dem Vernehmen nach um eine Frau. Campino soll den Kürzeren gezogen haben, weswegen er sich auf der B-Seite der ersten Single der Toten Hosen über Engler lustig machte - sie hieß "Jürgen Engler's Party". Engler gründete die Band Die Krupps, mit der er die berühmte "Stahlwerksinfonie" (1981) vorlegte. Heute kreuzt er Industrial mit Heavy Metal. Am 29. April kommt er mit Die Krupps ins Zakk. Wir erreichten ihn am Telefon in Austin.

Sie waren schon Punk, als Sie noch nicht wussten, was Punk ist, oder?

Engler Mein Vater gab mir 1977 einen Zeitungsartikel, darin ging es darum, wie die ersten Punks aussahen und klangen. "Musik aus Londons Gossen" hieß der. Ich habe ihn eingerahmt und "Aha!" daneben geschrieben. Wir coverten damals The Who und Lou Reed, aber schnell, aggressiv und rotzig. Und als ich den Artikel gelesen hatte, dachte ich: Im Grunde sind wir auch Punkrock.

Und was war die erste Punk-Platte, die Sie dann gehört haben?

Engler Ich habe mir bei Evertz an der Kö "Anarchy In The UK" bestellt, die Single der Sex Pistols. Wochen später kam sie an.

Was haben Sie gedacht, als Sie sie aufgelegt haben?

Engler Super, die klingen wie wir.

Der erste Male-Auftritt war ein Schulkonzert in der Aula des Geschwister-Scholl-Gymnasiums.

Engler Meine Schule.

Es gab einen Riesen-Aufruhr.

Engler Die Bands, die da spielten, wollten klingen wie Genesis oder Pink Floyd. Als wir dran waren, haben wir sofort Alarm gemacht. Und damit klar war, was los ist, haben wir eine Deutschland-Fahne verbrannt.

Was ist dann passiert?

Engler Der Hausmeister kam mit zwei Wassereimern angerannt und hat sie gelöscht. Es herrschte Panik. War lustig.

Haben Ihre Mitschüler verstanden, was Sie da machten?

Engler Nein. Sie hassten uns. Der einzige Punk im Publikum war Peter Hein von Mittagspause und später Fehlfarben. Er trug Stachelhaare und Sonnenbrille. Er hatte in der Zeitung von dem Konzert gelesen. Das war unsere erste Begegnung mit einem anderen Punk.

Haben Sie noch Kontakt zu ihm?

Engler Klar, wir sind ja alte Freunde. Mit Harry Rag von S.Y.P.H. und Pyrolator stehe ich auch im Austausch. Am meisten mit Campino. Wir treffen uns im April wieder.

Was machen Sie dann?

Engler Eine Platte Sushi essen.

Haben Sie ein Ritual, wenn Sie hier sind?

Engler Ich gehe in meine Bilker Gegend. Ich bezeichne mich ja nicht als Düsseldorfer, sondern als Bilker. Da gehe ich in die "Geissel". Um die Ecke habe ich früher gewohnt.

Haben Sie sich damals wie die Könige von Düsseldorf gefühlt?

Engler Weiß ich nicht. Könige von Düsseldorf? Also, wenn man das so sagen will, muss man auch Peter Hein mit dazunehmen.

Haben die Leute begriffen, wofür Sie gestanden haben?

Engler Das hat keiner gepeilt. Sogar im Ratinger Hof galten wir zuerst als die vom anderen Stern. Die Szene war noch extrem klein. Vielleicht 20 Leute. Außerhalb des Ratinger Hofs war es für Punks noch bis 1979 richtig gefährlich. Ich konnte nicht durch die Altstadt laufen, ohne angepöbelt zu werden. Das war Spießrutenlaufen. Das gemeine Volk hat gedacht, wir sind der Abschaum der musikalischen Welt.

Den Begriff Punk haben Sie bald von der Musik abgekoppelt.

Engler Ich bin immer noch Punk.

Sie haben sich nicht verändert?

Engler Ich bin der gleiche Typ, der 1977 die erste Show gespielt hat.

40 Jahre ohne Entwicklung?

Engler Absolut. Mein Wesen ist dasselbe geblieben. Der Geist ist derselbe. Das ist in mir drin.

Heute machen Sie aber Metal.

Engler Auf einmal kamen immer mehr Vorstadt-Proleten in den Ratinger Hof. Die Szene wurde asi: Rumprollen, Saufen, Bierflaschen durch die Gegend schmeißen. Das war nicht mein Ding. Ich habe noch nie Alkohol angerührt. Früher bestand die Szene aus Kunststudenten und Gymnasiasten. Produktive Leute, die etwas verändern wollten. Sid Vicious von den Sex Pistols hat das kaputt gemacht. Der wurde von der Vorstadt als Leitfigur genommen. Und seit 1980 war ich von der Szene erst recht genervt.

Das war, als Sie vor Ihren Helden The Clash in der Philipshalle spielten.

Engler Die "London-Calling"-Tour, genau. Da hab ich gemerkt, wir sind nicht im gleichen Boot. Wir saßen in der Halle und warteten, dass The Clash Soundcheck machten, danach wären wir dran gewesen. Die kamen verspätet an und haben erst mal Fußball in der Halle gespielt und die Dandys raushängen lassen. Dann machten sie 45 Minuten Soundcheck, spielten Chuck-Berry-Nummern und rollten sich ab. Ich guckte auf die Uhr und dachte, wir kommen nicht mehr dran. Und so war es. Als die fertig waren, wurde das Publikum eingelassen. Aber es kam noch schlimmer.

Inwiefern?

Engler Backstage kam uns ein Roadie entgegen und sagte: Was kriegt ihr für den Abend? Ich sagte: 200 Mark. Dann er: Das sind meine. Wieso?, fragte ich. Und er: Wenn ihr Licht und Sound haben wollt, müsst ihr mir das geben. Wir konnten ihn auf 100 Mark runterhandeln. Sound und Licht waren dementsprechend.

Aber die Band selbst wusste doch sicher nichts von dem, was dieser Kerl da mit Ihnen machte.

Engler Wahrscheinlich nicht, ich habe es trotzdem an der Band festgemacht. Die Rebellion hatte ihre Kinder gefressen. Pink Floyd hätten uns besser behandelt. Da habe ich gedacht, ich mach jetzt was anderes.

Wie definieren Sie Punk?

Engler Was verändern wollen. Gegen das sprechen, was einen stört. Das ist nicht unbedingt an Musik gebunden. Wenn doch: umso besser.

Warum braucht man heute Punk?

Engler Für Kampfansagen gegen Donald Trump. Die neue Single meiner Band Die Krupps heißt "Fuck You". Mehr Punk geht nicht.

Wie ist das bei den Toten Hosen?

Engler Der Spirit ist derselbe.

Wie meinen Sie das?

Engler Schauen Sie sich Campi und die Jungs an. Die haben sich nicht großartig verändert. Ihre Musik ist eine andere, ja gut. Aber sie wissen immer noch, wo sie herkommen. Ich gönne ihnen den Erfolg.

Warum war ausgerechnet Düsseldorf ein Zentrum des Punk?

Engler In Düsseldorf gab es immer eine Szene, die etwas anders machen wollte, etwas mit Geist. Das Rad neu erfinden. Kraftwerk hat mich musikalisch nicht angesprochen, da fehlten mir die Gitarren und die Aggression. Aber die Intention dahinter, der Wille, etwas verändern zu wollen, der hat was gemacht mir mir.

Was erwartet uns bei Ihrem Auftritt?

Engler Knallharte Musik. Power. Kein Konzert für alte Männer.

PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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