Düsseldorf In den Wolken

Düsseldorf · Die Großinstallation "In Orbit" von Tomás Saraceno ist seit 2013 die Attraktion der Kunstsammlung im Ständehaus. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten ist das Werk nun wieder für Besucher geöffnet. Eine Wiederbegehung.

 Blick in "In Orbit", die Netzkonstruktion von Tomás Saraceno im Ständehaus.

Blick in "In Orbit", die Netzkonstruktion von Tomás Saraceno im Ständehaus.

Foto: Anne Orthen

Sie stecken einen vorher in graue und dunkelblaue Overalls, und weil die Stufen hoch zum Eingang schmal sind und man deshalb jeden Schritt hinauf mit viel Bedacht macht, kommt man sich gleich ganz bedeutsam vor wie Bruce Willis oder Tom Hanks in "Armageddon" und "Apollo 13", jedenfalls wie irgend so ein Raumpatrouillen-Darsteller in einem Astronautenfilm. Man steht dann also oben auf der Plattform, nur noch ein Schritt in die Bodenlosigkeit. Es ist ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer für einen selbst. Man tritt aufs erste Stahlseil, das sogleich nachgibt und zu wippen beginnt, das ist der richtige Zeitpunkt, doch Angst zu bekommen. Aber dann macht man noch einen Schritt und noch einen, und wenn man sich erst einmal überwunden hat, ist es phänomenal. Man sieht in die Tiefe und von unten schauen sie hinauf.

Das mag nun vollkommen banal klingen, aber das ist mit das Schönste an der Netzkonstruktion "In Orbit", dass man dort niemals ganz für sich sein kann. Dass man dort immer auch den anderen ausgesetzt ist: den Blicken von unten, während man sich selbst in einer Mischung aus Furcht, Neugier und Wagemut auf den Bauch legt und 25 Meter in die Tiefe blickt. Dass man den anderen im Netz zusieht - zehn Menschen dürfen gleichzeitig hinein - wie sie sich vorwagen, abwägen und austarieren und jede Bewegung kurz darauf an alle übertragen wird. Das Netz kann unerwartet schwingen, einem den Halt nehmen - springen ist streng verboten -, und wenn man sich hinsetzt und jemand vorbeigeht, kommt es einem vor wie leichter Wellengang, als woge das Wolkenmeer ans Ufer. Das Kunstwerk wird dann eines, das einen tatsächlich angeht. Der Künstler hat dazu den schönen Satz gesagt: "Das Werk zu beschreiben, bedeutet die Menschen zu beschreiben, die es benutzen - und deren Gefühle."

400.000 Menschen haben die Installation des argentinischen Künstlers Tomás Saraceno seit Juni 2013 besucht, 150.000 haben sie nach Angaben der Kunstsammlung auch selbst bestiegen. Die Konstruktion unterm K21-Dach ist zum Publikumsrenner avanciert, und nachdem sie im vergangenen Jahr geschlossen und wegen der starken Beanspruchung runderneuert werden musste, ist sie nun seit Ende März und für die nächsten fünf Jahre wieder geöffnet.

"Sie haben acht Minuten", heißt es samstagmittags im K21, denn gerade an den Wochenenden ist der Andrang schon wieder sehr groß. Weil man vor der Expedition in die Wolkenstadt aber alles abgeben muss, was einem runterfallen könnte, vergisst man so ganz ohne Uhr bald die Zeit. Auch weil man ja mit Klettern und dem Sammeln von Eindrücken beschäftigt ist. Die kann man später ordnen, und zwar auf dem Weg hinunter in den dritten Stock, wo sie dem in Berlin lebenden Saraceno einen Künstlerraum überlassen haben. Der Argentinier hat dort ausgestellt, woran er seit Jahren forscht und was ihn zum Netz inspiriert hat: kleine Opuntienspinnen, die in dem abgedunkelten Raum nun ihre Netze weben. Die Spinnennetze seien Vorbild für das schwerelose, effiziente Bauen ohne territoriale Beschränkung, erfährt man. "In Orbit" kann man als Entwurf dessen verstehen.

(kl)
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