Düsseldorf Künstler malt ein Lexikon der Bilder

Düsseldorf · Junior Toscanelli kopiert die 4200 Werke in Kindlers Malerei Lexikon. Einige seiner Arbeiten sind jetzt zu sehen.

Im Leben einiger Menschen gibt es prägende Erlebnisse, die Begegnung mit anderen, das Erlebnis, etwas zum ersten Mal zu sehen. Im Film "Das Schweigen der Lämmer" ist das zum Zitat geworden: "Man begehrt das, was man sieht." Im Falle des Junior Toscanelli scheint der Fall klar.

Das zwölfbändige "Kindlers Malerei Lexikon" hat ihn von Kindheit an begleitet. Es ist 1971 erschienen, im Jahr von Toscanellis Geburt. Schon als Sechsjähriger hat er Abbildungen aus dem Werk in Öl nachgemalt - als erwachsener Mann stellt er sich einer Mammutaufgabe. Er malt die 4200 Abbildungen neu: die in Kindlers Lexikon verzeichnet sind. Einige hundert sind jetzt in der Galerie Till Breckner ausgestellt.

Toscanelli überträgt das Kompendium in seine eigene Kunstsprache. "Ich übersetze es neu", sagt der Künstler. Die Größe der im Lexikon abgedruckten Abbildungen hat er beibehalten, die durch die Größenverhältnisse entstandenen weißen Flächen verweisen auf die Quelle.

Seine Methode ist bemerkenswert. Er nähert sich den Koryphäen weder unterwürfig noch hochmütig. Er will sie weder vom Sockel stürzen noch ihre Denkmäler vergolden. Sein Blick ist distanziert und dennoch empathisch, es geht um reine Malerei. "Es spielt eigentlich keine Rolle, welches Thema auf dem Bild dargestellt wird, sondern wie die Bildsprache strukturiert ist", sagt er.

Toscanelli wurde bereits als 16-Jähriger an der Düsseldorfer Kunstakademie aufgenommen. Er hat dort zu einer Zeit studiert, als die Malkunst als nicht mehr zeitgemäß galt. Die Klasse von Markus Lüpertz, dessen Meisterschüler er wurde, war eine eingeschworene Gruppe von Studenten, die sich von allen anderen abheben wollten.

Die Prophezeiung vom Ende der Malerei hat sich nicht erfüllt, und Toscanelli ist seiner Aufgabe treu geblieben. Umfassend ist seine Beherrschung des Materials, meisterhaft sein Duktus. Dabei kann das Neu-Malen auch im Weglassen bestehen. Bei einem Stillleben des französischen Malers Henri Fantin-Latour fehlen Objekte, die im Original vorhanden sind. Manche Werke wirken durch fließende Linien wie übermalt zum Beispiel ein Portrait, das der expressionistische Künstler Karl Hofer gemalt hat. Andere Werke scheinen verdichteter, konzentrierter.

Es gibt aber auch Bilder, zu denen Toscanelli nicht viel einfällt. "Das hängt auch von der Tagesform ab." Etwa mit Malewitschs Rotem Kreuz auf schwarzem Grund kann er nicht viel anfangen. Die abstrakte Kunst ist nicht sein Metier. Manches sieht er hingegen mit neuem Blick. "Zu antiken Vasen oder Kreuzigungsszenen hatte ich lange keinen Zugang."

Wer sich die Ausstellung in der Galerie Breckner ansieht, kann das auf mindestens zweifache Weise tun. Zum einen kunsthistorisch: "Es gibt Leute, die jedes Original sofort erkennen, sogar sagen können, in welchem Museum es hängt." Aber man kann sich auch dem puren Genuss hingeben, kann die Bilderflut als ganz neue Erfahrung genießen. Ausflüge in die Kunstgeschichte sind inklusive.

Für "Die Frauen von Algiers" hat sich Toscanelli nicht Picassos Werk zum Vor-Bild genommen, das kürzlich bei einer Auktion als bislang teuerstes Kunstwerk für 160 Millionen Euro versteigert wurde. Im Lexikon steht stattdessen das Original von Eugene Delacroix' Gemälde "Die Frauen von Algier in ihrem Harem". Auch Picasso hat eine Reihe von Variationen alter Meister gemalt.

So gesehen gehören diese Werke, wie auch die Toscanellis, zu den von ihm benannten Hauptgruppen der Malerei: Menschen (Porträt, Akt, Gruppen), Orte (Stadt, Land, Fluss, Himmel, Interieur), Ereignisse (biblisch, mythologisch, allegorisch, historisch, alltäglich) und Kompositionen (Stillleben, surreales, abstraktes).

Eine fünfte Gruppe, die bisher in den anderen unterging, sind die Bilder über Bilder. Dazu hat Toscanelli nun eine ganze Welt erschaffen. Das Lexikon ist noch antiquarisch erhältlich. Toscanelli träumt davon, es neu herauszubringen, ganz ohne Text. Pure Malerei.

(RP)
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