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Gastbeitrag Christof Wingertszahn Kultur ist kein Konsumprodukt

Düsseldorf · Zum Jubiläum des Goethe-Museums: ein neues Buch und ein paar Gedanken zur Kulturpolitik der Stadt.

 Christof Wingertszahn versteht Kultur als Vermittler von Bildung und Wissen. Außerdem sei Kultur Kunstgenuss.

Christof Wingertszahn versteht Kultur als Vermittler von Bildung und Wissen. Außerdem sei Kultur Kunstgenuss.

Foto: andreas endermann

"Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist" - der Buchtitel lehnt sich an Loriots Lob des Mopses an. Der Humorist und der Klassiker waren beide distinguierte Herren mit Sinn für Spaß. Goethe aber ist kein Mops, sondern gibt mit seinem Ideenreichtum der Gegenwart noch heute so viele Impulse, dass die Möglichkeit eines Lebens ohne den größten deutschen Dichter tatsächlich kaum vorstellbar erscheint. Rüdiger Safranskis brillantes Werk über die Lebenskunst des Universalgenies stürmte vor drei Jahren die Bestsellerlisten: Das zeigt, welch großes Interesse Goethe nach wie vor beim Publikum findet.

Der promovierte Germanist und Verlagslektor Stefan Bollmann legt nun ein exzellent geschriebenes Buch vor, das weder Biografie noch Ratgeber sein will. Er nähert sich dem Genie über die Klugheitslehren unserer Zeit und spaziert in acht Kapiteln durch Goethes Leben, zu dessen Stationen die "Schule des Erwachsenwerdens", die Existenz als "Wandering Spirit" und der Durchbruch zu "Amore, Amore" genauso gehören wie das Einrichten eines "Fuchsbaus". Die treibende Kraft dieser Existenz ist die Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben. In der Tat ist Goethe einer der Erprober der modernen Individualität. Er nimmt die unterschiedlichsten Rollen an, ist Popliterat, Bohemien, Erotomane, staatstragender Geheimrat und vieles mehr.

"Goethe", so Bollmann, "stand am Anfangspunkt einer Entwicklung, die zu einer beispiellosen Ausweitung und Auffächerung der Identitäten geführt hat, die in einer Person zusammenfinden." Sein virtuoser Umgang mit Lebenskrisen führt uns vor, wie wir unsere Eigenheit leben und gleichzeitig auch der Gemeinschaft das Gebührende mitteilen können. Bollmann kommentiert sie mit Blick auf neueste Erkenntnisse aus Hirnforschung, Psychologie und Soziologie und versteht auch Losungen der Popmusik von Bob Dylan bis zu den "Ärzten" damit zu verbinden. Das ist flott und klug geschrieben und bietet einen unverkrampften Einstieg in Goethes Welt.

Bollmanns Buch empfiehlt sich besonders einer Stadt, die eine der drei großen Goethe-Forschungsstätten der Welt ihr eigen nennt. Das Goethe-Museum Düsseldorf feiert am 30. Juni sein 60-jähriges Bestehen, und zu diesem Anlass wird der Autor aus seinem Buch lesen. Sein Zugang entspricht unserem "Düsseldorfer" Goethe-Konzept. Wir wollen im Museum einen Goethe für das 21. Jahrhundert präsentieren, der für eine moderne Großstadt tauglich ist. Die Erprobung von Individualität ist dafür eine der Leitvorstellungen.

Goethes Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben muss gerade jetzt die Stadt zum Nachdenken bringen. Die Idee, sich "selbst auszubilden", nimmt nämlich keine Rücksicht auf Nützlichkeitserwägungen. Sie lehrt, "ein eigenes Leben zu führen, ohne uns von Namen blenden und von Dogmen beschränken zu lassen, ohne auf Status und Business allzu viel zu geben".

Die aktuelle Düsseldorfer Diskussion ist durch eine grundsätzliche Verquickung von Kultur und Ökonomie geprägt. Doch es ist nicht der Sinn von Kultur, eine Wirtschaftsmarke für Düsseldorf zu sein. Kultur zielt auf Bildung, Wissen und Kunstgenuss ab, nicht auf Absatzförderung. Eine solche Verengung des politischen Blicks fügt sich passend in den Rahmen der zu kurz greifenden Rede über eine angeblich nötige Zentralisierung der Museumslandschaft.

Wieso eigentlich? Zentralisierung kann noch viel mehr Geld kosten als Autonomie. Denkt man diesen Vereinheitlichungswahn weiter, wäre es nur folgerichtig, auch die DEG und die Fortuna zu fusionieren; warum nicht gleich auch CDU und SPD?

Kultur ist kein beliebiges Konsumprodukt, das von einem Großdiscounter feilgeboten werden kann. Düsseldorf ist noch Kulturstadt. Die gegenwärtig laufenden "Optimierungsprozesse" der Unternehmensberater und Marketingspezialisten geben Anlass zur Sorge, wie lange sich das Etikett halten lässt. Nicht die Kultur muss entwickelt werden, sondern das Verständnis von Kultur. Das Goethe-Museum hat Freiexemplare von Stefan Bollmanns Buch an alle Bürgermeister und Beigeordneten der Stadt geschickt, als Werbung für Goethe und seine Ideen.

(RP)
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