Düsseldorf Kunst ist Nähen, Schweißen, Tackern

Düsseldorf · Das K21 hat eine herausragende Schau zum Werk des Italieners Alberto Burri (1915-1995) zusammengestellt. Absolut sehenswert.

 Alberto Burri - Rosso Plastica aus dem Jahr 1962.

Alberto Burri - Rosso Plastica aus dem Jahr 1962.

Foto: Kunstsammlung NRW

Alberto Burri zählt zu den international bedeutendsten Künstlern der Nachkriegszeit, nur in Deutschland weiß man ihn oft nicht so recht einzuordnen. Zwar gab es auch hierzulande Ausstellungen, zuletzt vor knapp 20 Jahren im Münchner Lenbachhaus, doch haben seine Werke kaum Eingang in Sammlungen gefunden. Wohlgemerkt kaum, denn eines seiner Hauptwerke befindet sich im Besitz der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf. Es heißt "Grande Sacco (BS)", besteht aus aneinandergenähten Fetzen aus Sackleinen, stammt aus dem Jahr 1956 und ist eine Art Gemälde, das ohne Malerei auskommt.

Gründungsdirektor Werner Schmalenbach hatte es 1966 erworben und damit ein Zeichen gesetzt. In der Ausstellung "Alberto Burri. Das Trauma der Malerei", die jetzt im K21 eröffnet wurde, zählt "Grande Sacco" zu den rund 70 Werken, die Burris Lebenswerk nachzeichnen. Man kann dabei verfolgen, wie der Künstler unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst schlichte Materialien wie Teer, Bimsstein und altes Sackleinen verarbeitete und dann über Holzfurnier und kaltgewalzten Stahl zum typischen Material des 20. Jahrhunderts gelangte: Plastik.

Wäre diese Kunst nur ein Spiel mit den Möglichkeiten der genähten und getackerten Materialien, würde man darüber heute wohl kaum noch sprechen. Bedeutend werden Burris Bilder dadurch, dass seine Verletzungen der Oberfläche aus den Verletzungen erwuchsen, die der Zweite Weltkrieg der Menschheit zugefügt hatte. Als Arzt hatte Burri während des Kriegs unmittelbar erfahren, welches Ausmaß Wunden annehmen können. Er geriet in amerikanische Gefangenschaft, wurde in Texas interniert und unternahm dort ohne akademische Ausbildung seine ersten Malversuche. 1949 ließ er sich in Rom nieder, reiste viel und machte sich mit seinen Collagen und Materialbildern einen Namen.

Ob die markanten Burri-roten Flecken, die aus zahlreichen Arbeiten leuchten, Blut bedeuten und die angesengten Holzstücke Verwüstung, darüber mag man Mutmaßungen anstellen. In Gestalt des vorherrschenden Braun der Jutesäcke jedenfalls durchzieht eine spannungsvolle Nachdenklichkeit das Frühwerk.

Mit dem Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit hielten neue Materialien Einzug in Burris Werk. Hatte er mit Ölfarbe und Leinwand begonnen und davor, noch während der Kriegsgefangenschaft, eine Reihe von Zeichnungen angefertigt, die jetzt erstmals zu sehen sind, so folgten Experimente mit Bimsstein-Pulver, Industrielackfarben und Metallrohren. Die Materialien überlagern einander, die Leinwände wölben sich, überall weist der Bildträger Verletzungen auf. Unwillkürlich denkt man an die Schlitzungen, die Burris Landsmann Lucio Fontana seinen Leinwänden versetzte.

Der Lack- und Eisenzeit folgte die Plastik-Moderne. "Combustioni plastiche", Kunststoffverbrennungen - so ist eine Abteilung der Ausstellung überschrieben. Der Reliefcharakter der Bilder tritt nun noch stärker hervor, und wo zuvor Ärmlichkeit herrschte, verbreitet das dehnbare Material Plastik eine gewisse Eleganz. Von hohem ästhetischen Reiz sind auch jene Arbeiten, die unter dem Titel "Cretti" (Risse) schrundige Miniaturlandschaften entwerfen. Damit sind wir bereits im mittleren und im Spätwerk angelangt.

In einem Film kann man verfolgen, wie der Künstler gegen Ende seines Lebens Risse auf eine wirkliche Landschaft ausdehnte. Seine Gedenkstätte "Grande Cretto" aus den 80er Jahren, vollendet erst posthum 2015, erinnert als ein Stück Land Art an die 1968 bei einem Erdbeben zerstörte sizilianische Stadt Gibellina. Die Ruinen verschwanden dabei unter einer dicken Schicht Beton mit begehbaren Einschnitten, die die alten Gassen mit ihrer Enge nachzeichnen. Auch Joseph Beuys befasste sich damit. Das Ende der Ausstellung markieren große schwarze Tafeln als Bestandteile der Serie "Cellotex", ein Brückenschlag zum amerikanischen Minimalismus und damit zur internationalen Kunst der Moderne.

Jahrzehntelang war Burri Stammgast bei den Großausstellungen "documenta" und "Biennale von Venedig". In welchem Kontext er stand, davon erzählt in der Beletage des K21 eine eindrucksvolle Ergänzungsschau mit Werken aus dem Besitz der Kunstsammlung NRW: Bilder und Objekte unter anderem von Robert Rauschenberg, Jannis Kounellis, Richard Serra und Yves Klein. Jedermann kennt Rauschenberg, Burri aber gilt noch immer als eine Art Geheimtipp. So ungerecht kann manchmal der Nachruhm sein.

Daran scheint sich jetzt allerdings etwas zu ändern. Wie auf dem internationalen Kunstmarkt die Preise für Werke der Düsseldorfer Zero-Gruppe erheblich gestiegen sind, klettern auch die Preise für Burri. Zuletzt wechselte eines seiner Werke für acht Millionen Euro den Besitzer.

(B.M.)
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