Düsseldorf Marionettentheater jetzt auch auf DVD

Düsseldorf · Die "Unendliche Geschichte" ist das aufwendigste Stück des Theaters. Das gibt es nun auch als Film - der bringt die Figuren ganz nahe.

Bastian ist auf der Flucht. Seine Klassenkameraden sind wieder einmal hinter ihm her. Also stürmt der Junge mit dem blauen Kapuzenpulli einfach in das Antiquariat, rettet sich in das friedliche Refugium der Bücher. Endlich in Sicherheit! Nur für Buchhändler Koreander ist es damit erst einmal vorbei mit der Ruhe. Als die Kamera näherkommt, sieht man, dass der alte Buchliebhaber ein Monokel trägt, an dem seitlich eine Kette baumelt. Und dass das Leder auf seinem Ohrensessel genietet ist. In präzisem Abstand sind die Miniaturnieten in das winzige Möbelstück geschlagen. Fast meint man, es knarzen zu hören, als sich der Händler aus seinem Lesestuhl erhebt.

Solche Details sieht der Zuschauer im Düsseldorfer Marionettentheater gewöhnlich nicht. Er ist ja meist schon mit dem Gesamteindruck der liebevoll gestalteten Szenen und Bühnenbilder beschäftigt. Figuren am Faden sind für die Wirkung auf Entfernung gemacht. Dass sie mit größtmöglicher Wirklichkeitstreue gestaltet sind, nimmt der Zuschauer zwar wahr - es ist eine Qualität der im Marionettentheater gezeigten Inszenierungen, Kleinigkeiten aber, wie die akkuraten Nieten in einem Ohrensessel, kann er kaum würdigen.

Das kann sich nun ändern. Das Marionettentheater hat seine Produktion der "Unendlichen Geschichte" nach dem Roman von Michael Ende als DVD herausgebracht. "Es ist die bisher aufwendigste Produktion, die wir an diesem Theater geschaffen haben", sagt Bühnenleiter Anton Bachleitner, "darum freut es mich sehr, dass diese Inszenierung nun für die Nachwelt erhalten bleibt." Bachleitner freut sich auch, dass Michael Endes weises Jugendbuch nun erstmals nach 1984 wieder in einer Verfilmung zu erleben ist. Damals hatte Wolfgang Petersen aus der Vorlage ein großes Hollywood-Abenteuer gemacht - zum Missfallen des Autors, der sich vom Film distanzierte. Ende vermisste alle Zwischentöne und die erzählerische Ruhe, die seine fantastische Geschichte braucht. Denn sie ist ja kein Actionspektakel in irgendeiner Fantasiewelt, sondern eine Art Gleichnis, das klug und sanft von einem Außenseiter erzählt, der beim Lesen die eigenen Stärken entdeckt und lernt, zu sich zu stehen.

Das Düsseldorfer Marionettentheater hat eine lange Freundschaft mit Michael Ende verbunden bis zu dessen Tod 1995. Sieben Bücher von ihm wurden an der Bühne in Stücke für Figuren am Faden verwandelt. Ende hat das Theater im Palais Wittgenstein an der Bilker Straße auch besucht. Die sorgsame Arbeitsweise dort und die behutsame Art, seine Texte auf die Bühne zu bringen, haben ihm gefallen.

Welche Arbeit in jeder Inszenierung steckt, auch das lässt sich durch die DVD nun besser begreifen. Ein Film im Bonusmaterial zeigt, wie das Düsseldorfer Ensemble die "Unendliche Geschichte" entwickelt hat. Das beginnt mit den ersten dramaturgischen Arbeiten am Text, reicht weiter über die Entwürfe der Figuren, Kostüme und Bühnenbilder bis zur Umsetzung in der Schreinerei und der Schneiderei. Außerdem entwickelt das Marionettentheater für jede seiner Inszenierungen eine eigene Hörspielfassung, die von Profisprechern den Figuren auf den Leib gesprochen wird. Dazu sind die Bühnenmusiken von Wilfried Hiller, die immer eigens komponiert und eingespielt werden, ein Markenzeichen des Theaters geworden. Wer Marionettentheater filmt, hat mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass geschnitzte Figuren keine Mimik zeigen. Trotzdem hat der Hamburger Kameramann David Rankenhohn zahlreiche Nahaufnahmen eingebaut, die dem Film Dynamik geben. "Die Figuren sind so toll gesprochen, dass auch Nahaufnahmen gar nicht starr wirken", sagt Rankenhohn. Größte Herausforderung sei gewesen, einerseits den Gesamteindruck der wechselnden Bühnenszenerien wiederzugeben, gleichzeitig aber auch den Blick auf Details zu lenken. "Wir haben mit zwei Kameras gedreht, manche Szenen sieben, acht Mal, bis wir alle Details hatten, die dem Ensemble wichtig sind", erzählt Rankenhohn. Eine Woche wurde im Theater nur gedreht, ein Kraftakt für alle Beteiligten.

Möglich wurde er, weil der Freundeskreis des Marionettentheaters die Filmaufnahmen mit 10.000 Euro unterstützt hat. So trägt der Unterstützerkreis der kleinen Bühne dazu bei, dass sich herumsprechen kann, auf welchem Niveau am Rande der Düsseldorfer Altstadt Marionetten gespielt werden.

Man wünscht dem Film, der aus rechtlichen Gründen zunächst nur beim Theater selbst zu kaufen ist, ein begeistertes Publikum. Geeignet ist er für Zuschauer ab acht Jahren. Mancher kommt vielleicht auf den Geschmack und will dann auch Marionetten live erleben. Gerade steht mit dem "Wunschpunsch" im Theater selbst ein anderer Michael Ende auf dem Programm. Ab Januar folgt "Jim Knopf und die Wilde 13", bevor dann auch die "Unendliche Geschichte" erneut gespielt wird.

Dann ist auch wieder in Echtzeit zu erleben, wie das Nichts in dieser Geschichte um sich greift, Mensch und Tier verschlingt. Für Filmemacher Rankenhohn waren das die schönsten Szenen bei den Dreharbeiten: "Da wird Nebel eingesetzt, das ergibt im Film eine tolle Raumwirkung." Wer das noch nicht live gesehen hat, kann sich das Erlebnis nun nach Hause holen. Oder einen Flug mit Glücksdrache Fuchur verschenken.

(dok)
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