Bettina Masuch "Meine Tanzschule war die Disco"

Düsseldorf · Die Intendantin des Tanzhauses NRW über den Wert von Standardtänzen und den großen Sanierungsbedarf in ihrem Haus.

 Bettina Masuch hat als Dramaturgin und Festivalleiterin gearbeitet, bevor sie Anfang 2014 Intendantin des Tanzhauses NRW wurde.

Bettina Masuch hat als Dramaturgin und Festivalleiterin gearbeitet, bevor sie Anfang 2014 Intendantin des Tanzhauses NRW wurde.

Foto: Andreas Endermann

Bettina Masuch (52) ist gebürtige Solingerin und leitet seit 2014 das Tanzhaus NRW an der Erkrather Straße - hinterm Hauptbahnhof, also nicht gerade die Top-Lage. In ihrem Büro hört man die Züge rattern.

Was war eigentlich der erste Tanz, den Sie gelernt haben?

Masuch Ich bin zunächst in die Ballettschule gegangen, zwischendurch habe ich auch mal gesteppt und in der Tanzschule Waluga in Solingen Standardtänze gelernt. Aber eigentlich war das "Getaway" meine Tanzschule.

Das "Getaway"?

Masuch Die beste Disco in Solingen! Da hat man alles Wichtige gelernt.

Im Angebot des Tanzhauses NRW finden sich Flamenco- und Gaga-Kurse, aber es gibt kaum Standardtanz. Ist die Zeit von Walzer und Foxtrott vorbei?

Masuch Die ist überhaupt nicht vorbei. Zum Standard gehören ja auch Salsa und Tango, was es bei uns gibt. Gesellschaftstanz ist nicht totzukriegen und bekommt gerade wieder eine andere Bedeutung, weil es genau der Tanz ist, bei dem wir andere Menschen als Gegenüber treffen. Zu meiner Zeit ging man in die Tanzschule, weil es zum Erwachsenwerden dazugehörte. Heute zählt Gesellschaftstanz vielleicht nicht mehr ganz so sehr zum bürgerlichen Kanon. Dafür wird er viel spielerischer und die Begegnung dabei als Wert begriffen.

Für die Jüngeren scheint vor allem die HipHop-Kultur wichtig.

Masuch Absolut. In meiner Generation ist man über das Ballett zum zeitgenössischen Tanz gekommen. Heute funktioniert das über den HipHop. Das Interessante für uns ist, dass der HipHop auch Jungen und jungen Männern die Türen zum Tanz öffnet, was beim Ballett nicht unbedingt der Fall ist.

Bei Ihnen findet ab heute die Konferenz "Inventur" statt. Sie wollen über den Stand des zeitgenössischen Tanzes sprechen. Wo steht der Tanz heute?

Masuch Die erste "Inventur" gab es vor zwölf Jahren in Wien. Damals ging es uns um ein Kennenlernen von Entwicklungen des zeitgenössischen Tanzes in Osteuropa. Heute arbeitet der Tanz längst über Landesgrenzen hinaus. Zugleich merken wir, dass auch die vielen Krisen nicht mehr an den Grenzen haltmachen, dass etwa Menschen mit Fluchterfahrung ganz konkret auch im Tanzhaus NRW zu unseren Besuchern zählen. Auch bei Tanzschaffenden erleben wir wieder eine viel stärkere Auseinandersetzung mit sozialer Realität, also mit dem, was gerade in der Welt passiert.

Trotzdem scheint der Tanz für viele Menschen nicht relevant. In einer Studie für den Landeskulturbericht sagten 77 Prozent der Befragten, dass sie sich für Tanz wenig bis gar nicht interessieren.

Masuch Der Tanz hat immer noch das Image, reines Freizeitvergnügen zu sein. Dass Tanz eine zeitgenössische Kunstform ist, die sich mit der eigenen Zeit auseinandersetzt, ist eine junge Entwicklung. Insofern gibt es noch Luft nach oben, was das Interesse der Menschen an der Sparte angeht, aber das ist genau das, woran wir arbeiten.

Was kann der Tanz, was andere darstellende Künste nicht können?

Masuch In einer Zeit, in der viele Menschen nur noch mit dem Kopf, vielleicht noch der Hand an der Maus arbeiten und der Körper wie abgeschaltet ist, erleben wir beim Tanz das absolute Gegenteil. Es geht um eine körperliche Erfahrung, bei der wir Bewegungen sehen oder durch das Selbermachen erleben. Wir sehen, spüren und riechen den anderen Menschen. Diese Art des Kontakts halte ich für unglaublich wichtig im digitalen Zeitalter - das ich gar nicht verteufeln möchte, weil es uns auch viele neue Möglichkeiten bietet.

Wenn Sie einen Wunsch für das Tanzhaus freihätten: Welcher wäre das?

Masuch Ich hätte gerne eine stabile, und ausreichende Förderung für dieses Haus. Ich wünsche mir, dass Stadt und Land mit uns zusammen einen nächsten Schritt gehen, um dem, was hier geleistet wird, auch eine angemessene Förderung zur Verfügung zu stellen.

2016 haben Sie 1,1 Millionen Euro von der Stadt bekommen und 674.000 Euro vom Land. Was benötigen Sie?

Masuch Ähnlich große Häuser etwa in Frankfurt am Main oder Dresden verfügen über fast viermal so viel institutionelle Zuschüsse. Natürlich möchten wir da gerne mithalten.

Es gibt eine lange Mängelliste fürs Tanzhaus. Wo gibt es dringenden Handlungsbedarf?

Masuch Das Haus ist vor 19 Jahren umgebaut worden und seitdem im Dauerbetrieb. Es gibt viele Abnutzungserscheinungen: von einer Brandmeldeanlage, die nicht mehr auf dem neuesten Stand ist, über das Dach, das grundsaniert werden muss, über Sanitäranlagen, die in unserem Kursbereich im ständigen Einsatz sind, bis zu den Räumen im Backstage, die nicht dem internationalen Standard entsprechen. Wir haben Gruppen zu Gast, die auch in großen Opernhäusern auftreten, aber hier im Haus nur eine gemeinsame Umkleide für Männer und Frauen vorfinden.

Fühlen Sie sich von der Stadt im Stich gelassen?

Masuch Es gibt konstruktive Gespräche. Wenn ich mit Vertretern von Verwaltung und Politik spreche, ist allen die Bedeutung des Tanzhauses NRW sehr bewusst. Trotzdem: Ich wünsche mir dringlich, dass wir auf der städtischen To-do-Liste weiter oben stehen.

Zumindest im Erdgeschoss geht es mit einer neuen Gastronomie voran. Was erhoffen Sie sich davon?

Masuch Die Gastronomie ist wie unser Wohnzimmer und noch viel mehr. Es treffen sich hier die Großmutter, die auf ihren Enkel im Kinderkurs wartet, der Künstler, der im Produktionsprozess steckt, abends spielt und morgens wieder unterrichtet, die Menschen, die zu einem Workshop oder einer Vorstellung kommen, und die Mitarbeiter am Haus. Mit Nene und Johannes Nooij haben wir Partner gefunden, die den Raum mit uns neu denken und entwickeln wollen. Ein Haus wie das Tanzhaus NRW muss unterschiedlich nutzbar sein. Gerade hier, in dieser etwas unwirtlichen Gegend, muss jeder willkommen sein. Auch der, der nur eine Limonade trinken will.

Zurzeit tut sich in ihrer Nachbarschaft einiges. Es gibt das Projekt PostPost gegenüber, das Central, das FFT soll ins Postgebäude ziehen. Wird die Konkurrenz größer, oder profitieren Sie von der Ballung?

Masuch Wenn es für kulturinteressierte Menschen mehr Anlaufstellen gibt, ist das gut für uns alle. Es ist unser aller Interesse, dass diese Gegend auch das Bild eines anderen Düsseldorf sichtbar macht, so dass Düsseldorf mit weit mehr als mit der Altstadt und der Kö verbunden wird.

KLAS LIBUDA FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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