Düsseldorf Menschen mauern auf der Bühne

Düsseldorf · Regisseurin Helena Waldmann zeigte ihr Stück "Gute Pässe, schlechte Pässe".

 Szene aus "Gute Pässe, schlechte Pässe".

Szene aus "Gute Pässe, schlechte Pässe".

Foto: Wonge Waldmann

Es gibt Begriffe aus dem Alltag, die von Zeit zu Zeit ihren Bedeutungskontext verändern. Zum Beispiel: Mauer. Lange Zeit das Symbol der deutschen Teilung, ist sie derzeit im allgemeinen Verständnis ein bizarres Projekt des US-Präsidenten. Glücklicherweise sieht es so aus, als ob dieses noch nicht so bald realisiert werden wird. Glücklicherweise auch hält Helena Waldmanns Choreographie weit mehr parat, als der Titel verspricht. "Gute Pässe, schlechte Pässe" klingt allzu sehr nach einem Wink mit dem Zaunpfahl. Hingegen führt die einstündige Performance der preisgekrönten Tanzregisseurin auf vielen, assoziationsreichen Pfaden zu ihrer Botschaft. Auch bei Waldmann gibt es eine Mauer. Sie ist aus Menschenmaterial gemacht. "Waller" heißen die 20 Laien in Tournee-kompatiblem Englisch. Zusammen mit sieben Tänzern und Artisten brachten sie auf Einladung des Forums Freies Theater ein bitteres Ausgrenzungsstück auf die Bühne des Tanzhauses.

"Mutter, Mutter, wie weit darf ich reisen?" ist ein altes Kinderspiel. Da darf man immer so viele Schritte vorwärts schreiten wie das Ziel Silben hat. Bei Helena Waldmann wird der Zugang ins gelobte Land indes nach Kriterien bemessen, die kaum jemand alle erfüllen kann. Eine Unzahl von Entscheidungsfragen prasselt auf die Tänzer in den Rollen von Wanderern herab. "Sind Sie ein Inländer? Lieben Sie unsere Heimat? Sollten unsere Grenzen geschützt werden?" Das Ganze natürlich auch auf Englisch. Wer mit "No" antwortet, muss zurück auf "Los". Verstärkt wird die Menschenmauer durch eine weiße Linie, die den Bühnenraum in zwei Hälften teilt. Die Musik lullt ein mit Wagner und "We are the world".

Spektakulärer als dieses Migrationsdilemma ist jedoch eine zweite Auseinandersetzung: "Nouveau Cirque" gegen "Moderner Tanz". Drei Artisten stehen vier zeitgenössische Tänzer gegenüber, und beide Seiten setzen ihre jeweilige Kunstfertigkeit ein. Zu erleben sind Kombattanten der Kraft und solche der Eleganz. Vor allem die Akrobatik von Tjorm Palmer und Carlos Zaspel ruft immer wieder Szenenapplaus hervor. Wer hier Bezüge zum Thema des Abends sucht, muss nur an das riesige Migrantenlager im französischen Sangatte denken. Die Anstrengungen und Verrenkungen derer, die mit allen Mitteln durch den Kanaltunnel nach Großbritannien wollen, sind kein Zirkusspaß. Nicht selten enden sie mit Verletzungen oder sogar dem Tod. Waldmanns Stück aber endet hoffnungsfroh: "Ich glaube, dass es irgendwann keine Grenzen mehr geben wird". Das wäre schön, vor allem für die Menschen mit den "schlechten" Pässen.

(RP)
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