Streetmark-Keyboarderin heute Neue deutsche Wertarbeit

Düsseldorf · Nach 33 Jahren wird das Soloalbum der Düsseldorferin Dorothea Raukes neu aufgelegt. Ein Treffen mit der Streetmark-Keyboarderin.

 Dorothea Raukes im zeitgemäßen Overall. Das Foto entstand 1981, als ihr Synthesizer-Album "Deutsche Wertarbeit" erschien.

Dorothea Raukes im zeitgemäßen Overall. Das Foto entstand 1981, als ihr Synthesizer-Album "Deutsche Wertarbeit" erschien.

Foto: Bureau B

Vor fünf Jahren meldete sich die Vergangenheit bei Dorothea Raukes. Ein Mann aus den USA rief an, er sei auf das Synthesizer-Album "Deutsche Wertarbeit" gestoßen, das Raukes 1981 veröffentlicht hatte. Und da es nicht mehr lieferbar sei, wolle er eine Plattenfirma gründen, denn diese Musik müsse zurückgebracht werden in die Welt. Raukes fand das gut, klar, sie gab ihre Zustimmung, und weil die Veröffentlichung in Amerika einige Beachtung fand, wird das Album nun auch hierzulande neu aufgelegt. So sitzt sie also im Café Enuma in Bilk und erzählt von damals.

Raukes ist 63 Jahre alt, sie lebt in dem 230-Seelen-Ort Stein-Wingert im Westerwald, aber viele dürften sie von früher kennen, aus Düsseldorf. Sie machte 1970 Abitur am St. Ursula-Gymnasium, und von 1968 an spielte sie Keyboard bei der Band Streetmark. Das war die Zeit, als Gruppen wie Harakiri Whoom mit dem jungen Marius Müller-Westernhagen und Spirits Of Sound mit den späteren Kraftwerk-Mitgliedern Wolfgang Flür und Michael Rother in Schul-Turnhallen auftraten — aber nur bis 23 Uhr. Bei Streetmark spielte für kurze Zeit auch Wolfgang Riechmann, der 1978 in der Altstadt grundlos von Betrunkenen erstochen wurde, kurz bevor seine Solo-LP "Wunderbar" erschien.

Raukes trägt das Haar zu einem Zopf gebunden, den sie sich vor die rechte Schulter legt. Sie ist eigens für dieses Gespräch in die alte Heimat gekommen, 110 Kilometer mit dem Auto. Und sie erzählt gerne, was gewesen ist: Am Schumann-Konservatorium habe sie Klavier studiert, aber ein halbes Jahr vor dem Abschluss warf sie alles hin und konzentrierte sich auf den Pop. "Meine Eltern sprachen zehn Jahre nicht mit mir", sagt sie.

 Dorothea Raukes heute.

Dorothea Raukes heute.

Foto: Hols

Raukes heiratete ihren Bandkollegen Bernd Schreiber, sie hatten Genesis und Pink Floyd im Kopf, sie kamen bei der legendären Plattenfirma Sky unter Vertrag, und Kraftwerk-Produzent Conny Plank richtete ihr erstes Album ein. 1979 hatte Streetmark mit "Lovers" sogar einen Charterfolg. "Doch Musik mit einer Band zu machen, bedeutet Kompromisse einzugehen", sagt Raukes, deshalb nahm sie das Angebot der Firma Korg an: Sie konnte für ihre Soloplatte deren Synthesizer benutzen, "Korg" sollte allerdings auf der LP-Hülle stehen, aber das war okay.

So entstand "Deutsche Wertarbeit", und wenn man die sieben Kompositionen heute hört, fragt man sich, warum die nahezu komplett instrumentale Platte nicht viel populärer ist. Das ist Sphärenmusik, ein Weltraum-Gleitflug, eher an Klaus Schulze und Tangerine Dream ausgerichtet als an den kühlen Kraftwerk, die damals "Computerwelt" vorlegten. "Intercity Rheingold" heißt ein Titel, es ist der beste, und wenn man fragt, ob er vielleicht "Trans Europa Express" zitiere, schüttelt Raukes den Kopf: "Die Idee kam mir im Zug, Ich schaute aus dem Fenster und begann zu assoziieren." Sie habe Stücke bauen wollen, die ohne Bodenhaftung auskommen, "der Hörer sollte sich wie auf einem Luftpolster fühlen".

Winfried Trenkler legte die Platte häufig bei WDR 2 auf, sie verkaufte sich ordentlich, aber Raukes wollte nicht auftreten damit, weil sie keine Lust hatte, hinter einem Maschinenpark zu verschwinden. 1981 gab auch Streetmark das letzte Konzert, "von da an war ich eine ganz normale Bürgerin". Sie arbeitete in der Geschäftsstelle des Landgerichts, dann bei einer Versicherung in Köln. Sie ließ sich scheiden, verliebte sich wieder, ging mit dem neuen Mann im Westerwald spazieren, und als die Beziehung zerbrach, kaufte sie das windschiefe Haus, an dem sie so oft seufzend vorbeigegangen waren.

An diesem Sehnsuchtsort lebt sie nun, sie leitet einen Jungenchor, und natürlich lässt sie nicht nur Klassisches singen, sondern auch "Bohemian Rhapsody" von Queen. "Ich bin das perfekte Crossover-Wesen." Sie lacht, schüttelt den Kopf über die unverhoffte Rückkehr. "Vielleicht sollte ich ein Buch schreiben." Sie plant sogar, "Deutsche Wertarbeit" fortzusetzen.

Als sie sich verabschieden will, spricht der Besitzer des Cafés sie an. Er habe das Wort Streetmark gehört. Er sei Fan gewesen, besitze die alten Platten noch, Wolfgang Riechmann sei doch auch mal dabei gewesen, und wie denn die eine LP heiße, die mit den drei Buchstaben? "Dry" antwortet Raukes und erzählt noch einmal von vorne.

Irgendwann muss sie wirklich los. Zum Abschied sagt sie: "Bis bald."

(hols)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort