Düsseldorf Dieses Festival bringt die Stadt zum Klingen

Düsseldorf · Das New Fall Festival brachte Künstler wie Wilco und Kate Tempest nach Düsseldorf. Wir haben die Höhepunkte zusammengestellt.

 Die amerikanische Band Wilco bei ihrem Auftritt in der CCD Stadthalle.

Die amerikanische Band Wilco bei ihrem Auftritt in der CCD Stadthalle.

Foto: André Symann/New Fall Festival

Das Konzept sieht vor, ungewöhnliche Konzerte an besonderen Orten zu veranstalten, und als Zielgruppe hat man erwachsene Musikliebhaber im Blick. So erlebte man denn vor der Johanneskirche, wie Menschen einander zuprosteteten und vor dem Capitol, wie sie über den Auftritt von Kate Tempest diskutierten. Das war schön anzusehen, und eines kann man doch sagen: Das New Fall Festival veränderte für ein paar Tage die Atmosphäre in der Stadt, es brachte die Stadt zum Klingen.

Roosevelt Im Studio ist Roosevelt eine Ein-Mann-Show. Auf der Bühne hat Marius Lauber Verstärkung von einem Bassisten und einem Schlagzeuger. Er strahlt, der Club im Capitol ist gut gefüllt. Die Leute wippen, tanzen, grooven sich ein. Discofeeling wabert durch den Raum. Lauber, der zuweilen auch als DJ auflegt, tigert hin und her, greift zum Tamburin, spielt Gitarre, dreht an Knöpfen und schickt blubbernde Blieps in die Menge. Die zarte Jungsstimme, der gebürtige Viersener ist Mitte 20, passt hervorragend zum soften Pop à la "Colours" und "Moving on". Je länger das Konzert dauert, desto mehr fließen die Songs ineinander. Die Bass Drum hämmert auf Synthie-Flächen, es blitzt und wummert. Eine sexy House-Party, die die Hüften weich macht. Als Zugabe gibt's "Teardrops" von Womack & Womack. Nach einer guten Stunde und zwei Konfettiregen ist der Zauber vorbei. Begeisterter Applaus. (Dirk Weber)

Explosions In The Sky Es gibt einen Moment, in dem man komplett abschaltet. Irgendwann bei diesem Konzert von Explosions In The Sky im Schumann-Saal erreicht man diesen hypnotischen Zustand, in dem die Gitarrenwände einen Tunnel bilden, man ist dann ganz bei sich. Die Band aus Texas spielt Postrock, also eine Musik, die in den meisten Fällen ohne Gesang auskommt und einer strengen Dramaturgie folgt: Es gibt in jedem Song das erste Aufbäumen, eine anschließende Phase der Beruhigung, dann schnellen die Gitarren hoch, und im Saal knarrt die Holzervertäfelung. Das macht Durchzug im Gehirn, Katharsis alle paar Minuten. Explosions In The Sky folgen diesem Muster, aber sie spielen ihr Konzert ohne Pausen, aus einem Guss, darum wird es nie langweilig, auch weil sie eine irre Lichtshow haben. Zuweilen verschwinden sie hinter einer Wand aus Nebel und Leuchtdioden. Anderthalb Stunden geht das so, eine Zugabe gibt es nicht - es ist einfach alles gut. (Klas Libuda)

Kate Tempest Sie ist 30 Jahre alt, und man wundert sich, dass ihr Kopf nicht platzt, weil so viele Wörter darin sind. Sie steht auf der Bühne des Capitol und erzählt einen Roman. Er handelt von Menschen, die um 4.18 Uhr in London aufwachen und nicht mehr einschlafen können. Sie erzählt von deren Sehnsüchten, Zweifeln und Ängsten, und drei Musiker bemühen sich, einen Groove unter die Suada zu legen. Beats, Gitarre, Bässe. Dazu Lichteffekte. Warme Farben, kalte Blitze. Sonst nichts. Nur Sprache und Vorstellung. Kate Tempest lässt einen großen Sturm über London aufziehen. "We're lost!", ruft sie. Silben-Dusche. Predigt. Hirnwäsche. Sie bringt ihr komplettes Album "Let Them Eat Chaos". Das ist eher Hörspiel als Konzert. Manche finden das zu akademisch, aber die meisten der 600 Zuhörer lassen sich von diesem gewaltigen Wortstrom mitreißen. Man fragt sich irgendwann, ob man wohl Muskelkater in der Zunge bekommen kann. Und man prognostiziert, dass Kate Tempest in 50 Jahren als erste Rapperin den Literaturnobelpreis bekommt. "Is this really what it means to be alive?", fragt sie zum Schluss. Nach kaum einer Stunde tritt sie grußlos ab. Große Faszination. Aber eine Zugabe hätte drin sein müssen. (Philipp Holstein)

Agnes Obel Leicht aufgeregt betrat Agnes Obel den Altarraum der Johanneskirche. Denn die 36-jährige Dänin präsentierte ihr Debüt mit dreiköpfiger Begleitband und neuem Album: "Citizens of Glass" ist im Vergleich zu den Vorgängern perkussiver und elektronischer. Begleitet von zwei Celli und einer Drummerin entfaltete Obels träumerischer, sphärischer Pop eine ganz besondere Stimmung in der ausverkauften Kirche. Junggebliebene Pärchen kuschelten andächtig auf den harten Bänken, während die wunderbar harmonierende Band einen sphärischen Klangteppich in die hohe Halle zauberte. Mit Anklängen an Eric Satie, Philip Glass, Minimal Music und Sigur Ros hat die in Berlin lebende Sängerin und Pianistin einen ganz eigenen, unverkennbaren, aber auch sperrigen Pop-Sound geschaffen. Das Publikum dankte der Sängerin mit langem Applaus und stehenden Ovationen. (Clemens Henle)

Wilco Das CCD war eine Herausforderung für Wilco und die Zuschauer. Sänger und Gitarrist Jeff Tweedy bemerkte, dass ihn die brav bestuhlten Reihen eher an ein Motivationsseminar erinnerten als an ein Rock-Konzert. Zum Glück blieb die Band gelassen, und Gelassenheit war überhaupt das Stichwort dieses Abends. Jeff Tweedy hat sich Bauch, Bart und Hut zugelegt und signalisiert damit schon äußerlich, dass er niemandem mehr irgendetwas beweisen muss. Das gilt auch für seine Band. Rund zwei Stunden spielten sich Wilco mit Leichtigkeit und perfektem Sound durch ihr zwei Jahrzehnte umfassendes Schaffen, von den Country-Rock-Anfängen über die Indie-Experimente bis zu den zurückhaltenden Songs der neuen Platte "Schmilco". Dabei gelangen wunderbare, zerbrechliche, umjubelte Momente, allen voran beim süßlichen "Hummingbird", für das Tweedy sogar den Hut abnahm. Gegen Ende fühlten sich einige Besucher motiviert, den Bereich vor der Bühne zur Stehplatz-Zone zu erklären - und ließen das CCD wenigstens für einige Minuten wie eine echte Rock-Spielstätte wirken. (Arne Lieb)

(RP)
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