Düsseldorf Odyssee als Geschichte einer Flucht

Düsseldorf · Telemach ist der Sohn des berühmten Odysseus, des listigen Bezwingers von Troia. Telemach hat seinen Vater nie gesehen. Auf der Bühne des Jungen Schauspielhauses taucht er einsam mit Gitarre ins Licht, umgeben von Rauch. Man hat ihm gesagt, sein Vater käme bald heim, und jetzt weiß er nicht so recht, ob er sich freuen oder ärgern soll. Sein Riff auf der Gitarre ist ein Schrei der Verzweiflung.

Das Junge Schauspielhaus zeigt die "Odyssee" in einer deutsch-belgischen Koproduktion. Die sechs Darsteller stammen aus den beiden Ländern und aus England. Seit der Antike, als der Dichter Homer seine 24 Gesänge schrieb, bezeichnet der Titel eine Irrfahrt. Aber auch einen langen, mit Schwierigkeiten verbundenen Prozess. Für den Regisseur Gregory Caers war klar, dass man aktuell mit "Odyssee" eine Migrationsgeschichte erzählen müsste. Die Lingua Franca der Ägäis war damals wohl Griechisch, heute ist es Englisch. Im Jungen Schauspielhaus kauderwelscht man, dass andere gerade noch verstehen, was man meint. "You want boat. I got boat. Nice shit. Very cheap", preist ein Schlepper seine miesen Boote an. In seiner auf zehn Gesänge und siebzig Minuten eingestrichenen Fassung führt Gregory Caers die jungen Zuschauer auf eine Reise der Fährnisse. Es mischen sich die Erlebnisse des Odysseus und seiner Gefährten mit denen der Flüchtlinge von heute. Skylla und Charybdis, die unberechenbaren Felsklippen, sind jetzt die Warteräume der Grenzbürokratie. Odysseus selbst wird unter der Zahl 373 registriert, aber bald werden die Ziffernfolgen immer länger und man ahnt, dass sich hier die Vorgänge an den EU-Rändern mit dem Schachern auf Brüsseler EU-Fluren vermischen.

Das Spiel ist sehr körperbetont, mit viel Musik. Und was für die jungen Zuschauer nur ein kleines Malheur wäre, erscheint auf den Irrwegen der Flüchtlinge als Katastrophe: "Ich hab mein Handy verloren." Das Mobiltelefon bildet nämlich für sie die einzige Brücke zu ihrer Heimat. Dorthin, zu Verwandten und Freunden, wollen sie irgendwann einmal zurück. So wie Odysseus nach zwanzig Jahren als einziger Überlebender seiner "Odyssee" nach Ithaka zurückkehrt.

Zu Beginn des Abends waren alle Darsteller aus einer pferdeähnlichen Metallkonstruktion geklettert. Die Anspielung auf die trojanische List ist allerdings ambivalent. Könnte man sie doch auch als Bedrohung durch fremde Eindringlinge verstehen. Das läge mit Sicherheit nicht in der Absicht der Akteure dieses spannenden Spiels, das im November auf eine Tournee durch Belgien gehen wird.

(RP)
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