Annette Von Wangenheim Oper zeigt Film über Martin Schläpfer

Düsseldorf · Das Film-Porträt zeigt den Ballettchef bei der Arbeit und begleitet ihn an Rückzugsorte - etwa eine Hütte im Tessin.

Annette von Wangenheim hat ein Film-Porträt über Martin Schläpfer, Chef des Ballett am Rhein, gedreht. "Feuer wahren - nicht Asche anbeten" kommt nächstes Jahr in die Kinos, ist aber am Freitag schon einmalig im Opernhaus zu sehen.

Sie haben noch vor dem Dreh einen langen Spaziergang mit dem Ballettchef unternommen. Warum?

Wangenheim Bevor ich einen Künstler portraitiere, muss ich wissen, ob ich ihn verstehe, ob es eine gemeinsame Wellenlänge gibt. Ich wollte bei dem Gespräch spüren, ob wir uns gegenseitig vertrauen, nur dann kann man gemeinsam etwas Schönes schaffen.

Wie haben Sie festgelegt, welche Situationen Sie mit Schläpfer drehen wollten?

Wangenheim Wir hatten nur einen zeitlichen Rahmen von einem Jahr. Es stand lange vorher fest, welche Stücke in der Zeit geprobt und aufgeführt werden würden, das konnte ich mir nicht aussuchen. Aber ich war sehr glücklich mit den Balletten und beiden Uraufführungen, die in diese Zeit fielen: Deep Field, Alltag, Johannes Brahms - Symphonie Nr. 2, ein Wald, ein See. So entstand eine Zeitaufnahme. Ich erzähle in meinem Film nicht das Leben von Martin Schläpfer, nicht wo er herkommt, nicht wo er hingeht. Aus einer gewissen Zeitspanne wollte ich die Essenz seiner Arbeit herausfiltern. Außerdem wollte ich das gesamte Material selbst drehen, nicht Fremdes zusammenstückeln, sonst hat man keine einheitliche Handschrift. Es sollte alles aus einem Guss sein.

Auf welche Essenz sind Sie gestoßen?

Wangenheim Wenn man so etwas Komplexes in 90 Minuten Film zeigt, kann man es schwer in wenige Worten fassen. Aber ich halte die Verbindung von Tradition und Moderne für wesentlich an Schläpfers Werk. Er arbeitet für heutige Menschen, aber seine Arbeit ist nicht bodenlos, ist nicht ohne Tradition. Wir haben alle Wurzeln. Schläpfer geht mit denen des Tanzes sehr modern, aktiv und vor allem aufmerksam um. Ich finde das auch vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage wichtig. Nach den Anschlägen in Paris fragen wir uns doch, wo dieser Hass der Attentäter herkommt. Und der ist auch gewachsen, er hat auch Wurzeln. Eine einfache Antwort habe ich da nicht - versuche aber, auch allgemein Dinge in ihrem Kontext zu sehen.

Sie porträtieren Martin Schläpfer auch als Schweizer in der Fremde. Es gibt eine Szene, da steht er im grauen Düsseldorf am Rhein und wirkt, als vermisse er die Berge.

Wangenheim Dieses Leben als Migrant ist ja ein Grundthema unserer Zeit, auch in der Kunst - und sicher im Tanz. Wie viele Tänzer weltweit haben nur ein Köfferchen in irgendeinem Kabuff, weil ihre Verträge so abartig sind, dass sie nach wenigen Jahren weiterziehen müssen. Die Tanzszene ist ja meist überhaupt nicht angelegt auf Familienplanung und soziale Bindungen. Das ist aber ein generelles Thema, es gibt unendlich viel Migration - und niemand verlässt seine Heimat, seine Lieben freiwillig. Das kann im besten Fall bereichernd sein, aber es fordert immer heraus. Man kann Identität auf alle mögliche Weise finden, gerade auch in der Kunst. Darin liegt eine ihrer größten Stärken für die Gesellschaften heute. Aber die Frage bleibt: Wo komme ich her? Was sind meine Wurzeln? Was bringe ich mit? Und wie begegne ich Menschen, die irgendwo anders herkommen? Von Martin Schläpfer kann man lernen, wie auch solche Überlegungen Menschlichkeit ins Theater tragen.

Schläpfer hat auch seine privaten Räume geöffnet, etwa seine Hütte im Tessin. Hat Sie das überrascht?

Wangenheim Nein, er wusste ja, wem er sich öffnet und dass ich absolut respektvoll mit allem umgehen würde.

Warum sind diese Räume wichtig ?

Wangenheim Wohnräume sind immer auch Innenräume. Und ich möchte ja nicht von außen auf einen Künstler schauen, keine Hülle, keine Fassade zeigen, sondern eine Innenansicht. Ich wollte zeigen, wie jemand sein Inneres lebt.

Schläpfer pinselt sein Inneres an die Wände seiner Wohnung.

Wangenheim Ja, jeder Mensch möchte sich ausdrücken können, das sollte kein "Luxus" für Künstler oder irgendwelche Eliten sein. Da sind wir wieder bei den Anschlägen von Paris: Ich denke, der Hass der Selbstmordattentäter rührt auch daher, dass sie ihre Persönlichkeit nicht ausdrücken können, dass sie keinen Platz in der Welt finden und niemand davon wissen will. Schläpfer lebt etwas Anderes vor: Dialog, Respekt, Anteilnahme, Zweifel, Verletzbarkeit und eine tiefe Liebe zum Leben. Als Mensch und als Künstler.

(dok)
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